Der Wohnort Südwestdeutschland war für mich immer sehr attraktiv, weil ich von hier aus schnell wegkam, dem Irrsinn in Deutschland einfach entfliehen konnte, auch wenn es nur übers Wochenende war. Die Möglichkeit von Kurztrips in die Schweiz, Italien, Österreich oder Frankreich waren wie tiefes befreiendes Luft holen, nach einem zu langen und Kopfschmerzen verursachten Aufenthalt in einem von den Ausdünstungen, nicht nur der Politik, zu stickigen Maschinenraum. Gerade zwei Sachen brauchte ich dafür, ein zuverlässiges Auto und ein wenig Geld. Eine günstige Übernachtungsmöglichkeit fand sich immer, zur Not hatte ich immer einen Schlafsack und Isomatte im Auto.
Anekdoten drängen sich ins Bild, wollen erzählt werden. Eine nur, aus dem Verzascatal. Mit ein paar Freunden war ich dort zum tauchen, was da nicht ganz ungefährlich ist, aber mich gerade deswegen besonders reizt. Übernachtet wurde am Ufer, eigentlich mehr im Gebüsch, unter freiem Himmel; etwas flussabwärts der Römerbrücke am Flüsschen Verzasca. Gegen Morgen höre ich eine junge Frau fluchen: „Das schreckliche Vogelgezwitscher geht mir auf den Keks, ich brauche das liebliche Quietschen der Straßenbahn am Schreiberplatz, ohne das kann ich nicht schlafen.“ Das sollte wohl eher ein Spaß sein, aber irgendwie schien mir es so, als ob sie es ernst meinte. Bis heute bin ich davon überzeugt, zumal ich die Frau kannte. Im Scherz ist oft mehr preisgegebene Wahrheit des Scherzenden, als der von sich verraten möchte. Und sie war ein richtiges Stadtkind, zu ihrer romantischen Vorstellung von Heimat gehört sicher das Quietschen der Straßenbahn dazu.
Diese und viele weitere Erinnerungen kommen zurück, nichts Spektakuläres ist dabei, eigentlich; nur ganz gewöhnliche Begegnungen, Beobachtungen, Ereignisse. Dennoch halfen sie mir, die Enge des Alltags, wenn ich wieder zu Hause war, einigermaßen zu ertragen. Dann war wieder der ganze Tag verplant, nichts dem Zufall überlassen, am Arbeitsplatz schon gar nicht und nach Feierabend nicht viel weniger, hier waren es dann meist private Verpflichtungen der Familie oder anderen Menschen gegenüber, die den Alltag bestimmen. Alles läuft gut geplant und geordnet ab und irgendwann macht sich ein Gefühl breit, in einem Spinnennetz der Verpflichtungen gefangen zu sein, oder in einem Hamsterrad, ständig strampelnd, ohne dass sich irgendwas verändert.
Manche Menschen brauchen so etwas wahrscheinlich, nennen es einen geregelten Tagesablauf, schaffen sich Strukturen in denen sie Halt finden und die ihnen ihren Platz im Leben erklären. Einfach nur auf Entdeckungsreise zu gehen, nicht zu wissen was einem erwartet, nur eine nebulöse Ahnung zu haben, welcher Art die Erlebnisse sein werden, käme ihnen nicht in Sinn. Selbst Urlaubsreisen werden lange vorher geplant, gebucht und alles dafür getan, möglichst keine Überraschungen zu erleben. Wer sein Leben im Maschinenraum eingerichtet hat, für den ist jedes unerwartetes Ereignis erst einmal eine Bedrohung der geregelten Abläufe.
Ich habe mich damit abgefunden, im Maschinenraum arbeiten zu müssen, es verschafft mir Einkommen und Auskommen, zum Kapitän des Dampfers oder wenigstens zum Offizier hat es eben nicht gelangt, außerdem hatte ich nie den Ehrgeiz dazu, denn mehr Freiheit würde mir eine solche Position ja nicht bringen, nur mehr Verantwortung und mehr Macht. Doch beides begehre ich nicht.
Aber ab und zu muss ich da raus, aus dieser stickigen Enge, muss Luft holen, für ein paar Momente die Freiheit spüren, sonst gehe ich ein, verkümmere, werde selbst zur Maschine, ohne Sehnsucht, ohne Freude, nur der Bestimmung folgend: zu funktionieren. Doch das wird mir nun in dieser Coronazeit verwehrt und nicht einmal die Flucht aus Deutschland, die mir so oft half zu überleben, ist nun möglich. In den Nachbarländern ist die Situation ja nicht besser. Mit Bangen schaue ich auf den Kalender, den Winter werde ich noch im Maschinenraum überstehen, bin kein Wintersportler, doch spätestens, wenn die ersten Knospen sprießen werden, der Frühling neues Leben, neue Freude verspricht, dann muss ich raus. Ich würde mich sogar impfen lassen, wenn ich nur wieder einmal frei atmen dürfte. Dazu brauche ich nur mein Auto und ein bisschen Geld, aber auch dies ist wohl in Zukunft nicht mehr sicher, was aber gar nichts mit den Beschränkungen durch Corona zu tun hat, sondern mit den Ideen irgendwelcher grüner Visionäre, deren Vorstellung von der Welt ist, diese wäre ein Maschinenraum der nachhaltigen Kreisläufe. Ich soll funktionieren, meine Bestimmung in diesen Räumen finden, was aber nie geschehen wird, denn ich weiß wie sich Freiheit anfühlt, auch wenn es momentan nur eine Erinnerung an Vergangenes ist.Follow @QQuencher
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...du sprichst mir aus der Seele, fast ein de ja vue, auch teile ich die Bedenken am Ende!
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