2. Dezember 2012

Manager in der Schweigespirale

In den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts machte der Begriff Schweigespirale die Runde. Ausgangspunkt waren Beobachtungen von Elisabeth Noelle-Neumann, die feststellte, dass bei den Bundestagswahlen 1965 sowie 1972 bei Umfragen sich ein Kopf an Kopf Rennen zwischen CDU und SPD abzeichnete, die Siegeserwartung aber für die SPD zunahm.⁽¹⁾ Vor allem dem Journalismus wurde in diesem Zusammenhang immer wieder nachgesagt, durch tendenziöse Berichterstattung ein Meinungsklima zu schaffen, welches in der Bevölkerung dazu führt, dass sich die Mehrheit in der Minderheit wähnt.

Massenmedien spielen in der Theorie der Schweigespirale eine große Rolle, weil sie geeignet scheinen, ein Meinungsklima zu schaffen, welches dem unsicheren Medienkonsumenten ein verzerrtes Bild der Gesellschaft vorgaukeln könnte. Welches wiederum beim Konsumenten eine Furcht vor Isolierung und Ausgrenzungen erzeugen kann. Diese Vorgänge und Mechanismen treten allerdings auch auf, wenn es um einzelne Interessengruppen geht, vom Sportclub bis zum Aufsichtsrat eines Konzerns, überall lauert die Gefahr einer pluralistischen Ignoranz.⁽²⁾

Daran musste ich heute denken, als ich ein Interview mit Wolfgang Reitzle, Vorstandsvorsitzender der Linde AG, im Forum Manager auf Phönix sah.⁽³⁾ Reitzle, so die ARD, ist erstmals Gast einer TV-Sendung und gibt sich auch sonst sehr zurückhaltend im Umgang mit den Medien. Egal wo, Interviews mit Reitzle haben Seltenheitswert. Damit aber bekommen seine Worte einen noch größeren Stellenwert.

Die Sendung ist in ganzer Länge sehenswert, liefert interessante Einblicke in das Management eines DAX-Konzerns, doch als Highlight dürften Reitzles Ausführungen zur Rolle von anderen Wirtschaftsbossen, und der Politik, in der Euro-Krise sein. Er verteidigt die Manager welche diese Krise nicht kommentieren, oder gar entgegen ihrer Überzeugung sich entsprechend dem vorherrschenden Meinungsklima äußern. Sie befürchten, dass sie sich ins Abseits begeben und sich angreifbar machen. Dies ist aber genau das, was die Theorie der Schweigespirale aussagt, nur eben auf einem viel höherem Niveau, weil selbst Entscheidungsträger in DAX-Konzernen lieber die Klappe halten, als sich gegen ein wahrgenommenes Meinungsklima zu positionieren.



Als Schlusswort sagte Sigmund Gottlieb, Chefredakteur des Bayerischen Rundfunks: „Danke für das offene Gespräch, sie haben wirklich manche Dinge, auch, sozusagen, an der Grenze zwischen Ökonomie und Politik auf den Punkt gebracht. Das wird sicherlich noch für die eine oder andere Diskussion sorgen. Danke.“ Davon bin ich auch überzeugt, und möchte alle Interessierte auf die Wiederholungen dieser Sendung aufmerksam machen:

Wiederholungstermine dieser Sendung in PHOENIX:

03.12.2012 00:10 Uhr
10.12.2012, 01.00 Uhr


Verweise | Erläuterungen

(1) Hauptaussage der Schweigespirale ist, dass die Bereitschaft vieler Menschen, sich öffentlich zu ihrer Meinung zu bekennen, in bestimmten Fällen von der wahrgenommenen Mehrheitsmeinung abhängt.
[Wikipedia: Schweigespirale]

Übersichtliche Darstellung der Schweigespirale von medienstudent.de als PowerPoint-Präsentation.
[medienstudent.de: Theorie der Schweigespirale [ppt | 168kb ]]

(2) "Einen alternativen Zugang zur Thematik eröffnet das Theorem der Pluralistischen Ignoranz", das danach fragt, "warum die Wahrnehmung der 'öffentlichen Meinung' unter bestimmten Bedingungen gravierenden Irrtümern unterliegt, so dass die Mitglieder einer Gemeinschaft zu falschen Einschätzungen der Gruppenmeinungen kommen. Anders als die Schweigespirale konzentriert sich Pluralistische Ignoranz dabei nicht auf die Rolle der Medien und der öffentlichen Kommunikation, sondern identifiziert strukturelle Bedingungen und soziale Mechanismen als Ursachen der Selbsttäuschung."
[WDR: Aufsatznachweis aus Zeitschriften und Sammelwerken, Jahresband 2006 [pdf | 1,2mb]]

(3) In der halbjährlichen Umfrage „Manager nach Noten“ der Beratungsfirma Marketing Corporation, bei der 1000 Manager befragt werden, hatte Ende 2007 Reitzle im Schnitt die beste Bewertung bekommen und war somit unter den Kollegen die Top-Führungskraft Deutschlands mit dem höchsten Ansehen.
[Wikipedia: Wolfgang Reitzle]

Bei PHOENIX ist Wolfgang Reitzle zu Gast, der seit 2003 an der Spitze der Linde AG steht. Seither hat sich der Unternehmenswert verneunfacht. Reitzle ist erstmals Gast einer TV-Sendung. Sigmund Gottlieb und Marc Beise sprechen mit ihm über die Konjunkturflaute, die Zukunft des Euros, die Schuldenbremse und das Sparen sowie seinen eigenen Lebensweg.
[programm.ard.de: Forum Manager ... im Gespräch mit Wolfgang Reitzle]


2 Kommentare :

  1. Das komplette Interview gibt es auf youtube: http://www.youtube.com/watch?v=nUb4XHayOfo
    Viele Grüße

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  2. Das verhalten dieser Großindustriellen ist kein anderes als das ihrer Vorgänger zu Hitlers Zeiten. Wenn man ihnen Ihre Macht und ihr Geld im Rahmen ihrer Welt lässt, singen sie jedes Lied, das man ihnen vorspielt. Die Kommunisten lehrten immer, diese Herrschaften seien die eigentliche Macht im Staate und würden Politik dirigieren. Das mag zu Wilhelms Zeiten noch so gewesen sein. Aber heute haben die Politiker dazugelernt. Die Korruption der Wirtschaft durch die Politik ist offensichtlich, da letztere immer wieder dafür sorgt, dass die Wirtsschaft zu Profit kommt. Bei Hitler war das der große Krieg, heute sind das weitestgehende politische Entscheidungen auf den Gebieten Umwelt, Energie und Klima.

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