So wurden im 19. Jahrhundert Kultur und Bildung nicht nur zum Schlüssel des Aufstiegs – nein, sie waren ein Selbstzweck, ein Besitz, den man um seiner selbst willen pflegte und der den Kern dessen ausmachte, was man bürgerlich nennt.
Davon ist nicht mehr viel übrig geblieben, das Materielle in Form von Nachhaltigkeitsvorstellungen, die im Grunde Ideologie sind, nimmt heute den Raum ein, den die Kultur hatte. War früher für die Bürger Bach, Beethoven, Brams und Bruckner allgegenwärtig, so ist es heute das Wissen von ökologischen Fussabdrücken und dergleichen. Dies hat aber mit Bildungsbürgertum nichts mehr zu tun, sondern ist Spießertum: engstirnig und geistig unbeweglich. Weltrettung hat das Streben nach Lebensglück abgelöst.
Der Bildungsbürger von heute ist in Wirklichkeit ein in seiner Ideologie gefangener Spießbürger, der missionierend seine Wertvorstellungen als Norm der Gesellschaft über stülpen möchte. Und dort wo er es geschafft hat, diese neue Normen mit einer Intensität vertritt, wie es eben nur Anhänger von Ideologien oder radikalen Sekten tun. Die Freiheit einer persönlichen Lebensführung wird anderen nur insofern zugestanden, als dass diese mit den ideellen Werten, welche etabliert wurden, in Übereinstimmung gebracht werden können.
Der Begriff „Wertkonservative“ machte unlängst die Runde, und so manche Grüne sind auch noch stolz darauf als solche bezeichnet zu werden. Nun hat aber der Konservativismus nichts mit dem Bürgertum zu tun, dies wird oftmals vergessen. Konservatismus folgt einer politischen Utopie, so jedenfalls Ludwig Trepl über konservativen Ökologismus:
Die Gesellschaft ist nicht durch Vertrag der Einzelnen im Interesse dieser Einzelnen zustande gekommen, sondern sie besteht vor jedem Einzelnen als eine Gemeinschaft, in der jedes Glied dem anderen dient und alle dem Ganzen dienen, das wiederum für den Einzelnen sorgt. Dies alles ist nicht nur in materieller Hinsicht zu sehen, sondern im Dienst an der Gemeinschaft liegt auch der Sinn allen Tuns.
Das Streben nach persönlichen Glück, was so individuell und verschieden ist, wie Individuen eben sind, und ein wesentliches Merkmal des früheren Bürgertums darstellt, ist den Wertkonservativen ein Dorn im Auge. Dazu nochmal Konstantin Sakkas:
Dass die meisten so genannten Bürger von heute keine Bürger sind, sieht man am besten daran, dass sie nicht mehr frei handeln können (war im ursprünglichen Sinne, in der griechischen Polis nämlich, den Kern von Bürgerlichkeit ausmachte), sondern dass sie nicht mal mehr einen Bleistiftanspitzer kaufen können, ohne mit dem Verkäufer eine halbe Stunde lang über den Holzgehalt zu diskutieren.
Mir ist da eine Sendung der Serie "Entweder - Broder" in Erinnerung. Darin entspannt sich folgender Dialog über die den völlig diffusen Begriffs "Nachhaltigkeit":
AntwortenLöschen"Die Menschen hatten immer zwei Träume. A: Traum vom Fliegen, B: Traum von der Ewigkeit, von der Unsterblichkeit. Den Traum vom Fliegen haben die Menschen schon realisiert, den Traum von der Unsterblichkeit noch nicht."
"Nachhaltigkeit ist sozusagen das Ersatzwort für Unsterblichkeit?"
"Ja."
"Die Suggestion der Ewigkeit?"
"Ja!"
"Deswegen auch die Projektion auf die nächsten Generationen !!!?!
"So ist es."
Lieber C-O,
AntwortenLöschenDie Sehnsucht nach Unsterblichkeit ist tatsächlich, so finde ich auch, nicht zu vernachlässigen. Unlängst hörte ich in einem Interview, ich weiß nicht mehr wo, dass auch die Sehnsucht nach der Apokalypse direkt damit zu tun hätte. Der Mensch würde seine eigene begrenzte Lebenszeit als Kränkung verstehen und sich nach größerer Bedeutung sehnen.
Das was Broder da so salopp daher sagte ist große Philosophie.