Am 11. September 2001 rief mich ein Freund an und schrie durchs Telefon: "Schalt den Fernseher ein, Armageddon hat begonnen." Den Fernseher hatte ich natürlich schon an und musste mit Entsetzen den Einsturz der Twin Towers mit ansehen. An Krieg dachte ich wohl, die USA wurden angegriffen, soviel schien klar, doch Armageddon, das war mir doch zu weit hergeholt. Dabei handelt es sich bei meinem Freund um keinen Hysteriker, sondern um einen gebildeten, belesenen und weit gereisten Mann um Anfang Fünfzig. Damals hatte ich der Bemerkung keine besondere Bedeutung zugemessen, aufgewühlt, und vielleicht auch verängstigt, waren wir alle. Dennoch ist mir diese Aussage in Erinnerung geblieben, gerade weil sie eigentlich nicht zur Person passte, und als im SWR2-Forum eine Sendung mit dem Titel: "Warum fasziniert uns die Apokalypse?" hörte, wurde ich neugierig. Ist das wirklich so? Auch und gerade heute, wo Weltuntergangszenarien Konjunktur haben, oder war dies womöglich schon immer so?
Doch bevor wir hier weiter machen, müssen wir uns erst einmal klar werden, welche Begriffe was beschreiben. Armageddon ist ein Teil aus der Offenbarung des Johannes aus dem Neuen Testament. Diese Offenbarung wird auch die Apokalypse des Johannes genannt. Im neuzeitlichen Sprachgebrauch wird Armageddon als Synonym für Weltuntergang und Katastrophe verwendet, ursprünglich beschrieb er den Ort der endzeitlichen Entscheindungsschlacht. Weitere Beschreibungen sind hier nicht nötig , es genügt zu wissen, wie man diesen Begriff einzuordenen hat. Die meisten werden ihn aus dem Neuen Testament kennen, eben aus der Offenbarung des Johannes. Hier ist die Rede von den letzten Tagen vor Anbruch des Reich Gottes, dafür muss aber die alte Welt vergehen, verbunden mit dem letzten Kampf zwischen Gut und Böse. Vorstellungen dieser Art gibt es viele, und sind ebenso in vielen Religionen und Kulturen vorhanden. Als Oberbegriff wird auch Eschatologie verwendet. Wikipedia schreibt dazu: "Eschatologie [...] ist ein theologischer Begriff, der die prophetische Lehre von den Hoffnungen auf Vollendung des Einzelnen (individuelle Eschatologie) und der gesamten Schöpfung (universale Eschatologie) beschreibt."
Da beißt sich etwas in den Vorstellungen der meisten Menschen, die Apokalypse nur mit Zerstörung, Leid und Tod in Verbindung bringen. Doch das ist eben nur ein Teil, gleichzeitig wird mit dem Ende der Welt, so wie wir sie kennen, auch Hoffnung auf eine neue, bessere, vollkommene Welt gemacht. Der Apokalyptiker kann sich eine neue Welt nicht anders vorstellen, als dass die alte Welt vergeht. Wie das geschieht wird in verschiedenen Apokalypsen dargestellt. Dies zumindest bei den klassischen Erzählungen, wie der von Johannes; bei der neben der Zerstörung und dem Leid, auch immer ein Hoffnungsgedanke mitspielt. Die Apokalypse ist also keineswegs ein reines Weltuntergasszenario, wie sie heute oft verstanden wird, sondern markiert den Zeitpunkt eines Gottesgerichtes, verbunden mit einem Umbruch in eine neue bessere Welt.
Doch Apokalypsen müssen keinen religiösen Hintergrund haben, es gibt auch säkulare: Revolutionen. Damit soll hier aber keineswegs die Neolithische oder die Industrielle Revolution gemeint sein, sondern Bewegungen und Ideologien die auf eine Änderung des Normenssystems der bestehenden Gesellschaft abzielen. Wie etwa Nationalsozialismus, Kommunismus oder auch schon die französische Revolution. Wichtig sind zwei Voraussetzungen; es muss die bestehende Ordnung, oder Normensystem, überwunden werden, gleichzeitig ist dies mit einem Heilsversprechen auf eine bessere Zukunft verbunden. Der einzig wirkliche Unterschied besteht nur in der Rolle des Individuums. Während säkulare Heilsversprechen dem Einzelnen nur über den Umweg der Revolution gegeben werden können, ist dies in der theologischen Eschatologie nicht notwendig. Hier kann das Individuum auch durch persönliches Wohlverhalten profitieren.
Und hier wird auch deutlich, warum mein Freund mit seiner Beschreibung im September 2001 falsch lag. Die Ängste von denen er erfasst wurde, hatten nichts mit der Apokalypse zu tun, denn es fehlt jeder Ausblick auf eine bessere Zukunft. Es sei denn, man betrachtete diesen Terroranschlag als den Auftakt eines Kampfes zwischen Gut und Böse (nebenbei, ohne auf das weiter eingehen zu wollen, die Formulierung "Achse des Bösen" ist in diesem Zusammenhang auch bezeichnend). Wenn er es tatsächlich glaubte, dann heißt das, er ist auf die Rhetorik von Menschen hereingefallen, die mit ebensolchen Begriffen aus der Apolkalypse ihre eigene Agenda verfolgen. Ganz ausschließen möchte ich das nicht, obwohl zu diesem Zeitpunkt diese berühmt geworden Worte von Geroge W. Bush noch gar nicht gefallen waren. Doch die Vorstellung dass die Dualität verschiedener Weltanschauungen, sich nur in einem Sieg des Einen über den Anderen auflösen könnte, hat es ja schon vornweg gegeben. Doch ich schweife ab.
Bevor wir nun zu weiteren wichtigen Fragen kommen, was zum Beispiel neuzeitliche Ängste, wie die Angst vor einer Klimakatastrophe, mit der Apokalypse zu tun hat, und ob wir eine solche brauchen, müssen wir noch einen weiteren Aspekt einführen, ich bezeichne ihn einfach als Intermedium. Eigentlich gibt es deren zwei: Zwischen heute und den zu erwartenden Event (Apokalypse, Revolution), und den nach dem Event bis zum angestrebten Endzustand. Doch der Reihe nach:
1. Apokalypse ohne Heilsversprechen
Dazu gehören alle Weltuntergangphantasien. Seien sie aus Raum Zeit Angst gespeist, Kosmophobie oder Humanophobie, wichtig ist nur, es gibt kein Happy End. Entweder die Menschen, oder die ganze Welt, oder das ganze Universum wird vernichtet. Wir können nichts dagegen tun. Was machen wir also in der Zwischenzeit? Richtig, weiter wie bisher, da sowieso alles was wir tun, den Gang der Dinge nicht verändern kann. Zu dieser Kategorie gehören auch zum Beispiel Personen die meinen, eine menschgemachte Umwelt- oder Klimakatastrophe führt zum Untergang, und wird unvermeidlich kommen, weil eine für notwendig gehaltene Transformation (Werte- und Normenwandel = Revolution) nicht eintreten wird.
Einer weiteren Entwicklung der Gesellschaft steht man aber nicht negativ gegenüber, und versucht das Beste aus dem zu machen, was zur Verfügung steht. Dies kann man auch als evolutionären Wandel ohne richtiger Zukunftsperspektive deuten. Positive Veränderungen sind durchaus willkommen, da man ja nicht weiß wann der Untergang kommt.
2. Apokalypse mit Heilsversprechen (theologisch)
Diese richtet sich hauptsächlich an Individuen. Jedem ist das Heilsversprechen gegeben, er hat sich nur an entsprechende Regeln zu halten um zu den Guten zu gehören wenn dereinst das Gottesgericht über die Menschheit herein bricht. Dies hat wieder sehr viel mit Normen und Moral zu tun, die können sich nämlich im Laufe der Zeit wandeln, somit ist es möglich, dass sich ein derartiger Apokalyptiker in der Minderheit wiederfindet. Ein evolutionärer Wandel der Gesellschaft wird im Intermediuum nicht grundsätzlich abgelehnt, eigentlich nur dann, wenn es den persönlichen Moral- und Wertevorstellungen entgegen läuft. Nach dem Event spielt das alles keine Rolle mehr, da dann Gottes Reich herrscht, welches zwangsläufig perfekt ist.
3. Revolution (säkulare Apokalypse)
Die säkulare Apokalypse richtet sich immer an ganze Gesellschaften. Ein bestehendes System muss überwunden werden um das Heilsversprechen zu erlangen. Dies kann aber niemals nur für den Einzelnen geschehen, da er allein nicht die Normen verändern kann, ohne deren Änderung es aber keine Revolution oder Transformation geben kann. Besonders wichtig ist hier, mehr noch als bei der theologischen Apokalypse, ein beanspruchtes Zukunftswissen. Man ist überzeugt heute schon die Normen benennen zu können, die in der Zukunft gelten. In diesem Punkt unterscheiden sich ein wenig die klassischen Revolutionen von der angestrebten Transformation der Klima- und Umweltschutzbewegung. Während erstere die derzeit geltenden Normen akzeptieren, diese allerdings durch eine Revolution ändern wollen, meinen zweitere, dass die Normen aus der Zukunft, von der man ja weiß wie sie auszusehen hat, heute schon richtig sind, von der Gesellschaft nur noch nicht akzeptiert werden.
Die klassische Apokalypse (Revolution) lebt bis zum Ausbruch des Events von der Verschärfung eines Konfliktes, der dann durch die Revolution aufgelöst wird. Bei der Transformation, wie sie die Klima- und Umweltschutzbewegung anstrebt, geht es hauptsächlich um die Missionierung, hier steht die Veränderung der Normen im Vordergrund, und durch diesen Vorgang wird auch die Gesellschaft verändert. Allerdings ist man auch gegenüber Eskalationen positiv eingestellt, die klammheimliche Freude über militante Kernkraftgegner, oder Unfälle wie in Fukushima, sind ein sicheres Zeichen dafür. Von derartigen Vorgängen erhofft man sich eine schnellere Akzeptanz der bislang noch abgelehnten zukünftigen Normen.
Der Gegenpart zu allen Apokalypsen ist die evolutionäre Entwicklung von Gesellschaft, Wissenschaft und Technik. Entscheidungen werden aus dem Wissen der Gegenwart getroffen haben aber keinen Anspruch auf Endgültigkeit. Die Gesellschaft und unser Wissen verändern sich, somit werden wir uns evolutionär in die Zukunft hinein bewegen, und das in allen Bereichen. Ein beanspruchtes Zukunftswissen existiert nicht, weil die Zukunft aus der Gegenwart erwächst, sich dabei die Bedingungen ständig ändern. Der Evolutionist befindet sich in einem ständigem Intermedium, alles was es gibt, gibt es nur hier und jetzt. Evolution ist eben nicht nur ein Begriff aus der Biologie, sondern ein kosmischer Gesamtprozess der alle Bereiche umfasst. Was aber zur Folge hat, dass die Ungewissheit über die Zukunft Ängste auslösen kann. Die Angst vor Unbekannten ist eine der stärksten Ängste. Wer aber in der ungewissen Zukunft eine Chance sieht, ängstigt sich auch nicht davor. In Wiktionary werden als Synonyme für Evolution die Wörter Entwicklung, Entfaltung und Fortentwicklung genannt. Das galt mal als etwas Erstrebenswertes. Wer voraufklärerischen Vorstellungen anhängt, wie Kreationismus, oder wer mehr Angst als Zuversicht hat, der braucht die Apokalypse mit ihrem Heilsversprechen. Die anderen nicht. Womit auch die zentrale Frage aus der SWR2-Sendung beantwortet wäre.
Anmerkung
Zu diesem Thema gibt es viele umfangreiche Texte, auch im Netz. Ich habe nur einen kleinen Teil davon verwendet und auf direkte Links im Text verzichtet. Hier aber noch eine Linkliste von den Seiten, die für mich bei der Erstellung dieses Textes besonders hilfreich waren:
Wikipedia: Apokalyptik
epoc: Die Entdeckung der Zukunft
Christian Blume: Das Evolutionsverfahren - allgemein betrachtet
Rezenssion in kulturbuchtipps: Claus Leggewie, Harald Welzer: „Das Ende der Welt, wie wir sie kannten“
Ulrich Baron: Endzeitstimmung
Ulrich Baron: Nicht auszumachen, wie die neue Welt aussieht
Ulrich Baron: Eiszeiten und Naturkatastrophen
Wikipedia: Eschatologie
Reinhard Hempelmann: Kosmophobie und das Ende aller Zeiten
Soziobloge: Eine kurze Geschichte der Apokalypse
SWR2 Forum: Warum fasziniert uns die Apokalypse?
Dieser Artikel ist zuerst im Science-Skeptical-Blog erschienen.
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