18. November 2012

Wertkonservative, Biedermeier und die Spießbürger

Die aktuelle Debatte wer den nun die besseren Konservativen sind - die Grünen oder die Schwarzen - führt völlig in die Irre. Es schreien die einen: „Wir sind die Wertkonservativen, ihr die Strukturkonservativen.“ Die anderen erwidern: „Alles Quatsch, Strukturkonservatismus gibts vielleicht noch bei den Gewerkschaften, doch nirgends sonst.“ Im Grunde braucht man auf diese Debatte gar nicht eingehen, weil es ein Streit ist der um einen inhaltslosen Begriff geführt wird. So richtig weiß eh keiner mehr, was »konservativ« im politischen Kontext bedeutet. Kaum eine der schlauen Definitionen dies sich finden lassen, beschreiben die Konservativen so wie sie sich heute darstellen, und wie sie von den Mitmenschen erlebt werden.

Alle wollen irgendwie Wertkonservativ sein, wobei aber nicht mal klar ist, welche Werte denn gemeint sind. Die alten Konservativen fühlten sich einer Kultur verbunden, die eine gewisse Nestwärme ausstrahlte und viele verschiedene Facetten beinhaltete, sich aber nie genau erklärte, weshalb auch für fast jeden ein Platz darin gefunden werden konnte. Diese Konservativen hatten gewissermaßen den Anspruch katholisch zu sein. Aber nicht in der religiösen Verwendung dieses Wortes, sondern in der ursprünglichen Bedeutung, was etwa allgemein oder allumfassend beschreibt. Etwas konkreter wurde es wenn von christlichen Werten gesprochen wurde. Damit war aber kein religiöser Fetisch gemeint oder angedacht, sondern eine Kultur die neben dem Christentum auch Platz für Aufklärung und Wissenschaft beinhaltete. Der Konservative der Nachkriegszeit hatte ein eher pragmatisches Weltbild und vor allem den Anspruch den Wohlstand zu mehren.

Mit dem Konservativismus des neunzehnten Jahrhunderts oder der Zeit zwischen den Kriegen hatte das nicht mehr viel zu tun. Schon nach dem zweiten Weltkrieg war von der ursprünglichen Bedeutung nur noch eine Worthülse übriggeblieben, die man aus Ermangelung besserer Bezeichnungen benutzte. Jede Gegenwart schreibt sich ihre Vergangenheit und entwickelt dabei eine Erinnerungskultur, die die Gegenwart in der Kontinuität zur Vergangenheit sieht. Dabei werden gern unangenehme Details oder Epochen ausgeblendet und verdrängt, die aber, wenn sich eine neues Bild der Gegenwart entwickelt, wieder zu Vorschein kommen.

Dass die Integration dieser neuen Gegenwartsbilder in die Kultur der Konservativen - wie ich sie der Einfachheit weiterhin nenne - gelang, ist ein weiterer Hinweis auf den Pragmatismus, der diese Zeit kennzeichnete. Wenn es eine Ideologie gab, dann nur eine, die sich darin erschöpfte den Kommunismus, oder den Ostblock, als Feindbild zu betrachten. Eigene Identität entstand durch Abgrenzung zu einem Feindbild, weniger aus Geschichtsbewusstsein oder -interpretation.

Jede Kultur, oder jede Nation, hat Symbole die den eigenen Charakter beschreiben. In Deutschland wurde das schwierig, die meisten waren historisch negativ belastet. Doch im Verlauf des Wirtschaftswunders entwickelte sich mit der D-Mark ein solches identitätsstiftendes Symbol. Darauf konnte man Stolz sein, es hatte nichts mit der Vergangenheit zu tun, was ungeheuer hilfreich war. Man war wieder wer, und das Wunder von Bern tat ein übriges. Sich im hier und jetzt einzurichten, und das beste daraus zu machen, wurde als moralisch gut betrachtet; man hatte einen Platz gefunden, an dem man sich wohl fühlte. Der gewachsene materielle Wohlstand wurde als Bestätigung und Legitimation angesehen, und das Streben danach wurde zum hauptsächlichen Inhalt der Konservativen. Verbunden allerdings mit kulturellen Wertvorstellungen aus der Vergangenheit, denjenigen die die kulturelle Identität der Vergangenheit ausmachten, aber nicht durch Krieg und Nazizeit diskreditiert waren. Selbst war man ja anständig geblieben, trotz widriger Umstände. Der Nachkriegskonservatismus in seiner Breite hatte eher kulturelle Wurzeln als politische. Teile der Kultur der Besatzer wurden integriert, es entstand so etwas wie Weltoffenheit.

Der Erfolg des Nachkriegskonservatismus, wurde aber auch zur Ursache seiner Krise. Wenn alles rund läuft entsteht kein Anpassungs- oder Veränderungsdruck. Man richtete sich in der Welt ein die man sich selbst geschaffen hatte. Dabei wurde der Nachkriegskonservative zu einem neuen Biedermaier, bürgerliche Tugenden wie Fleiß, Ehrlichkeit, Treue, Pflichtgefühl, Bescheidenheit wurden zu allgemeinen Prinzipien erhoben und das häusliche Glück stand im Mittelpunkt. So wie der alte Biedermaier eigentlich ein Spießbürger war, wurde dies auch der neue Biedermaier.

Ganz ähnlich ist die Entwicklung bei den andern neuen Konservativen verlaufen, den Grünen. Anfangs brachten sie die verdrängten Elemente der Vergangenheit ins Scheinwerferlicht, was zu einem neuen Bild der Gegenwart führte. Auch politische und ideologische Sichtweisen wurden neu etabliert, und als Gegenentwurf zum Pragmatismus der anderen angeboten. Zu Recht bezeichneten sie die neuen Biedermaier als Spießer, ohne aber zu erkennen, dass sie sich selbst in diese Richtung zu entwickeln zu begannen. Der grundlegende Unterschied besteht nur darin, dass statt einer kulturellen Identität eine ideologische die Richtung vorgab. Etwas was sich bis heute nicht geändert hat. Auch wenn die Grünen heute von sich selbst als Wertkonservatieve sprechen, so ändert das doch nichts an der Tatsache, dass in diesem Konservativismus nur das Platz hat was ihrer Ideologie untergeordnet werden kann. Dabei sind natürlich viele Elemente vorhanden, die auch bei den Schwarzen eine große Rolle spielen, und, eine gemeinsame Schnittmenge darstellen sollen, so die meisten Kommentatoren. Bei oberflächlicher Betrachtung könnte man dem zustimmen, beim genauerem Hinsehen nicht mehr.

Der Konservativismus der Schwarzen ist gekennzeichnet durch kulturellen Traditionen verbunden mit Pragmatismus. Ideologie spielt keine große Rolle, ist eigentlich nur in Ansätzen vorhanden, schon wegen dem Anspruch katholisch zu sein, wie oben dargestellt. Bei den grünen Konservativen spielt dagegen die Ideologie die herausragende Rolle, ja sogar die Wertvorstellungen werden aus Ideologien hergeleitet. Kulturelle Traditionen interessieren nur insoweit, als sie in die ideologischen Vorstellungen integrieren lassen, sind also nur Mittel zum Zweck. Und Pragmatismus bleibt völlig auf der Stecke.

Allerdings ist eine neue grüne Kultur entstanden, die sich zwar immer noch auf die grüne Ideologie gründet, doch ebenso Wertvorstellungen entwickelt die als allgemeingültig angesehen werden. In diesem grünen Minikosmos beginnt man einzurichten. Das fällt um so leichter, als dass aus der restlichen Gesellschaft praktisch kein Widerstand kommt, dort gar grüne Vorstellungen übernommen werden. Auch das wird nun als gemeinsame Schnittmenge bezeichnet und ist doch bei Licht besehen keine Gemeinsamkeit, weil das eine aus der Kultur und das andere aus einer Ideologie hervorging. Dies ist ein wesentlicher Unterschied, weil die Kultur pragmatische Lösungswege aufzeigen kann, die Ideologie naturgemäß nur ideologische. Deshalb ist auch die Feststellung dass es gemeinsame Wertvorstellung gäbe falsch, es hat nur den Anschein und wird spätestens wenn es um die Entwicklung von Handlungsanweisungen geht zum Konflikt führen.

Dennoch nutzen die Grünen die Beobachtungen, dass viele ihrer Vorstellungen von der Gesellschaft übernommen wurden, als Bestätigung. Genauso wie D-Mark und Wirtschaftswunder den Nachkriegskonservativen das Gefühl vermittelte auf dem richtigen Weg zu sein, finden sich die Grünen in einer ähnlichen Selbstzufriedenheit wieder. Darin richten sie sich ein und werden somit die neuen Bildermänner und Spießer. Damit ist aber auch die Krise dieser ideologiebasierten grünen Kultur vorprogrammiert, der Spießer will und kann sich nicht anpassen, schon gar nicht wenn die Tugend des Pragmatismus hinter den Zwängen einer ideologiebasierten Weltsicht zurück treten muss.

Abschließend: Es gibt keine Wertkonservativen, die mal bei den Grünen und mal bei den Schwarzen ihr Kreuzchen machen, es gibt nicht mal den Wertkonservativen an sich, weil keine Beschreibung die verschiedenen Ursprünge und die verschiedenen Ziele unter einen Hut zu bringen vermag. Struktur- oder Wertkonservativ gibt es nur als Worthülse, die je nach eigenem Gutdünken mit einer Beschreibung ausgefüllt wird. Dies was auch schon bei den Nachkriegskonservativen nicht anders. Die waren im Prinzip nur Praktiker mit einem selbst geschaffenen, oder selbst gedeuteten, kulturellen Hintergrund. Die grünen Wertkonservativen gibt es genauso wenig, sie sind nur Ideologen mit einer ebenso selbst geschaffenen, selbst gedeuteten plus ideologiebasierten Kultur. Wenn eine Beschreibung für beide zutrifft, dann ist es die der Biedermeier oder Spießer. Die können eben auch unterschiedlich sein, wie man sieht.

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