29. November 2012

Bürgerlichkeiten

Konstantin Sakkas mischt sich im Cicero in die neue „Bürgerlichkeits-diskussion“ ein, und beschreibt, durchaus nicht abwertend, den Begriff „Gutbürgerlich.“ Nicht moralische oder ideologische, nicht mal materielle Vorstellungen haben diesen Begriff geprägt, sondern kulturelle, in ihrem besten Sinne.
So wurden im 19. Jahrhundert Kultur und Bildung nicht nur zum Schlüssel des Aufstiegs – nein, sie waren ein Selbstzweck, ein Besitz, den man um seiner selbst willen pflegte und der den Kern dessen ausmachte, was man bürgerlich nennt.
Damit wären wir aber beim Begriff Bildungsbürgertum, der heutzutage, vielleicht auch schon früher, als Abgrenzung zur Unterklasse oder zur materiellen Oberklasse verwendet wird. Der Kapitalist und der Proletarier bezogen ihr Selbstverständnis aus der Bewertung von ökonomischen Interessen, beide können aber auch gleichzeitig Bildungsbürger sein. Weil eben, wenn man Sakkas folgt, das „Materielle“ eine untergeordnete Rolle spielte. Klassik, auch Romantik - das „Schöne“ eben - spielte die große Rolle. Moral natürlich auch, doch ohne moralisierend zu sein. Eine Ideologie aber fehlte, die hätte den Geist und die Weltoffenheit des frühen Bildungsbürgertums zu sehr eingeschränkt. Es war gewissermaßen ein unpolitischer Liberalismus.

Davon ist nicht mehr viel übrig geblieben, das Materielle in Form von Nachhaltigkeitsvorstellungen, die im Grunde Ideologie sind, nimmt heute den Raum ein, den die Kultur hatte. War früher für die Bürger Bach, Beethoven, Brams und Bruckner allgegenwärtig, so ist es heute das Wissen von ökologischen Fussabdrücken und dergleichen. Dies hat aber mit Bildungsbürgertum nichts mehr zu tun, sondern ist Spießertum: engstirnig und geistig unbeweglich. Weltrettung hat das Streben nach Lebensglück abgelöst.

Der Bildungsbürger von heute ist in Wirklichkeit ein in seiner Ideologie gefangener Spießbürger, der missionierend seine Wertvorstellungen als Norm der Gesellschaft über stülpen möchte. Und dort wo er es geschafft hat, diese neue Normen mit einer Intensität vertritt, wie es eben nur Anhänger von Ideologien oder radikalen Sekten tun. Die Freiheit einer persönlichen Lebensführung wird anderen nur insofern zugestanden, als dass diese mit den ideellen Werten, welche etabliert wurden, in Übereinstimmung gebracht werden können.

Der Begriff „Wertkonservative“ machte unlängst die Runde, und so manche Grüne sind auch noch stolz darauf als solche bezeichnet zu werden. Nun hat aber der Konservativismus nichts mit dem Bürgertum zu tun, dies wird oftmals vergessen. Konservatismus folgt einer politischen Utopie, so jedenfalls Ludwig Trepl über konservativen Ökologismus:
Die Gesellschaft ist nicht durch Vertrag der Einzelnen im Interesse dieser Einzelnen zustande gekommen, sondern sie besteht vor jedem Einzelnen als eine Gemeinschaft, in der jedes Glied dem anderen dient und alle dem Ganzen dienen, das wiederum für den Einzelnen sorgt. Dies alles ist nicht nur in materieller Hinsicht zu sehen, sondern im Dienst an der Gemeinschaft liegt auch der Sinn allen Tuns.
Mit anderen Worten, die Interessen des Einzelnen spielen in diesem Gesellschaftsvertrag keine Rolle. Indivdualismus, wie es das liberale Bürgertum kennt, ist dem Wertkonservatismus fremd.

Das Streben nach persönlichen Glück, was so individuell und verschieden ist, wie Individuen eben sind, und ein wesentliches Merkmal des früheren Bürgertums darstellt, ist den Wertkonservativen ein Dorn im Auge. Dazu nochmal Konstantin Sakkas:
Dass die meisten so genannten Bürger von heute keine Bürger sind, sieht man am besten daran, dass sie nicht mehr frei handeln können (war im ursprünglichen Sinne, in der griechischen Polis nämlich, den Kern von Bürgerlichkeit ausmachte), sondern dass sie nicht mal mehr einen Bleistiftanspitzer kaufen können, ohne mit dem Verkäufer eine halbe Stunde lang über den Holzgehalt zu diskutieren.
Ideologie hat die Kultur verdrängt, genauso wie den Individualismus, und damit aus dem Bürgertum ein Ökospießertum werden lassen. Grünes Bürgertum gibt es nicht.

2 Kommentare :

  1. Mir ist da eine Sendung der Serie "Entweder - Broder" in Erinnerung. Darin entspannt sich folgender Dialog über die den völlig diffusen Begriffs "Nachhaltigkeit":

    "Die Menschen hatten immer zwei Träume. A: Traum vom Fliegen, B: Traum von der Ewigkeit, von der Unsterblichkeit. Den Traum vom Fliegen haben die Menschen schon realisiert, den Traum von der Unsterblichkeit noch nicht."

    "Nachhaltigkeit ist sozusagen das Ersatzwort für Unsterblichkeit?"

    "Ja."

    "Die Suggestion der Ewigkeit?"

    "Ja!"

    "Deswegen auch die Projektion auf die nächsten Generationen !!!?!

    "So ist es."

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  2. Lieber C-O,

    Die Sehnsucht nach Unsterblichkeit ist tatsächlich, so finde ich auch, nicht zu vernachlässigen. Unlängst hörte ich in einem Interview, ich weiß nicht mehr wo, dass auch die Sehnsucht nach der Apokalypse direkt damit zu tun hätte. Der Mensch würde seine eigene begrenzte Lebenszeit als Kränkung verstehen und sich nach größerer Bedeutung sehnen.

    Das was Broder da so salopp daher sagte ist große Philosophie.

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