Das Interview in der SWR-Sendung führte Elisabeth Brückner und ist hier von mir im Wortlaut wieder gegeben:
Wir nähern und der Frage, beziehungsweise der Antwort, mit kleinen Schritten. Herr Grau, bitte erst einmal eine Definition: „Was ist konservativ?“Es wird deutlich, dass beide große Volksparteien völlig dabei versagt haben, den Menschen eine Perspektive, eine Idee für die Zukunft zu präsentieren. Weil sie auch beide keine Idee haben, und lediglich in ihrem jeweils eigenen Konservatismus gefangen sind. Das kopieren von grünen Vorstellungen in die eigenen Programme hat ein übriges dazu getan, so dass nicht mehr erkennbar ist, für was sie denn eigentlich stehen.
Wir leiten ja, wenn wir das Stichwort konservativ hören, dazu Äußerlichkeiten vor Augen zu haben, gewisse Bilder des Konservativen, des traditionellen CDU-Wählers, eben Äußerlichkeiten seiner Lebenswelt und vielleicht der Haltung die er hat. Aber wie gesagt, das sind Äußerlichkeiten, im Kern ist der Konservative ein Mensch, der nicht nur an traditionellen Werten festhalten möchte, sondern fest daran glaubt, dass es ewig gültige zeitlose Werte gibt, und die möchte er bewahren.
Sind die Grünen in diesem Sinne eine konservative Partei?
Ja, sie sind unbedingt eine konservative Partei. Das mag erst einmal irritieren, weil wir noch die Bilder der 68er vor Augen haben, die damals das Schreckgespenst konservativer Bürger war und die Grünen ihre Wurzeln darin haben. Aber gerade auf den Wertebezug den ich eben ansprach, sind die Grünen eben in diesem Sinne eine konservative Partei. Sie vertreten genau dieses Wertebild gültiger Normen, die sie in dieser Gesellschaft eben durchsetzen wollen; und nicht so sehr, eigentlich dieses pluralistische Bild dass manche Grünen selber von sich haben.
Können Sie mal diese Werte beschreiben, bitte?
Na gut, man braucht bloß ins grüne Parteiprogramm zu schauen, da liest man ja von Bürgerversicherung, von Einheitsschulen, von Wärmedämmverordnung, Geschwindigkeitsbeschränkung und so weiter. Das alles geht also in eine reglementierte Gesellschaft, auch das ein altes konservatives Modell. Der moderne konservative Grüne, trägt ja außerdem noch das Schild des Pluralismus vor sich her, hat aber tatsächlich diese gleichen Normierungsideen wie der Traditionskonservative alter Prägung.
Ein Zitat aus der Stuttgarter Kontext-Wochenzeitung, da heißt es, „die OB-Wahl stehe für eine neue politische Kultur, Bürger die sich von der traditionellen Politik etablieren.“ Sehen sie das auch so?
Nein, die Stuttgarter haben ja gestern gewählt wie sie immer gewählt haben - konservativ. Nur der Traditionskonservativismus, den ich eben ansprach, zieht nicht mehr. Der Konservativismus musste aufgefüllt werden, mit neuen Formen und neuen Inhalten. Und genau dort haken die Grünen ein und holen diese Wählerschichten des neuen, nach wie vor konservativen, Bürgertums ab.
Also sie sagen, die Stuttgarter haben eigentlich gewählt wie immer - konservativ. Das heißt, sie haben sich nicht verändert, aber die Grünen haben sich verändert?
Ob die Grünen sich verändert haben, ist eine These. Man könnte auch meinen, beide haben sich nicht verändert. Also ich würde sagen nein. Grüne und die Schwaben haben gemeinsame kulturelle Wurzeln und gehören eigentlich immer schon zusammen.
Warum sind jetzt die Grünen besonders im Südwesten erfolgreich, und nicht, ich sag mal ein Beispiel: In Mecklenburg-Vorpommern?
Eines hatte ich ja schon genannt, das sind die von mir angesprochenen kulturellen Wurzeln, das darf man sicherlich nicht übergehen. Aber ein zweiter wichtiger Grund ist natürlich: Wohlstand. Also wenn man sich die Karte Deutschlands vor Augen hält und die Wohlstandsverteilung und die Verteilung der grünen Wählerschaft, so wird man feststellen, dass dies wesentlich deckungsgleich ist. Insofern sind die Grünen auch soziologisch die Partei eines neuen wohl verdienenden Bürgertums.
Ist es eine Zeitenwende. die wir gerade im Südwesten erleben unter grüner Regentschaft?
Natürlich, hier bricht sich etwas bahn, was sich schon angekündigt hat, eine Veränderung im Wahlverhalten des städtischen Bürgertums - das ist in den Kommentaren heute zu lesen. Es fällt der CDU immer schwerer dieses städtische Bürgertum abzuholen, wie man so sagt. Und dieser Trend wird sich sicherlich festigen. Ob man deswegen von einer Zeitenwende sprechen kann, würde ich angesichts des im Grunde konservativen Wählerverhaltens über das wir sprechen, möchte ich bezweifeln. Es kann die demokratische Landschaft verändern, natürlich.
Wer als erstes aus dem offensichtlichen Scheitern der Energiewende seine Lehren zieht, und den Wählern ein eigenes Bild von der Zukunft vermittelt, eines welches ohne die grünen Vorstellungen auskommt, ja diese sogar deutlich ablehnt, wird in der Zukunft für Mehrheiten wählbar sein.
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