Mit rund 25% der Wählerstimmen, wenn man die Nichtwähler berücksichtigt, wurde der Grüne Fritz Kuhn zum neuen Oberbürgermeister von Stuttgart gewählt.⁽¹⁾ Immerhin recht deutlich vor dem von der CDU unterstützten Kandidaten Sebastian Turner. Bei einer Wahlbeteiligung von 47,2 % haben allerdings die Nichtwähler mehr Stimmen bekommen als Kuhn und Turner zusammen. Und schon, kaum dass die Stimmen ausgezählt sind, werden Stimmen in der CDU-laut, man müsse ein Großstadtkonzept entwickeln und Themen wie Kinderbetreuung, Ganztagsschule, Probleme von Alleinerziehenden und städtebauliche Entwicklung als drängendste Fragen der Bewohner annehmen.⁽²⁾
Selbstverständlich muss die CDU, wie alle anderen Parteien auch, Antworten auf diese Fragen haben, oder weiter entwickeln und den geänderten Umständen anpassen. Leider ist zu befürchten, dass nun bloß bei denen die sich als Verlierer der Wahl sehen, die CDU, die Konzepte der anderen kopiert werden und nur eine andere Beschreibung bekommen. Vielleicht lässt sich dabei auch die eine oder andere Wählerstimme wiedergewinnen die an die Grünen abgewandert ist, doch insgesamt wird dieses Konzept erfolglos sein. Die CDU wird nur dann wieder Fuß fassen können, wenn es ihr gelingt bei den Nichtwählern zu punkten. Um die kümmert sich niemand.
Ich glaube nicht, dass die Hälfte der Stuttgarter Wählerschaft politisch uninteressiert ist, die haben nur einfach die Nase voll von einem Einheitsbrei, dessen Hauptzutaten Ideologien sind und der nach dem Motto "Friss oder Stirb" serviert wird. Für was soll man da noch zur Wahl gehen, schmeckt eh alles gleich.
Das Problem der CDU ist das selbe welches die SPD schon länger hat: Sie ist in die Grüne Falle gegangen, hat Argumentationen und Vorstellungen der Grünen übernommen. Die Unterschiede die wahrgenommen werden, sind so gering, dass ein Unterscheidungsmerkmal zwischen den politischen Lagern fehlt.
Der wahre Wahlverlierer ist nicht Turner, sondern Merkel. Sie hat die CDU nach ihrem Willen geformt. Überzeugungen der Gegner werden adaptiert und dieser durch Umarmung kalt gestellt. Dies hatte mit der SPD ganz gut geklappt, freilich zu dem Preis, dass eigene Konturen nicht mehr erkennbar sind. Die Grünen haben den Spieß umgedreht, und sind genau mit dieser Taktik bei den Konservativen wildern gegangen. Özdemir meinte das Erfolgsrezept der Grünen im Südwesten sei, dass sie "links, liberal im Sinne von bürgerrechtlich und gleichzeitig wertkonservativ" wahrgenommen werden.⁽³⁾ Damit liegt er gleichzeitig richtig und falsch. Als liberal wird man die Grünen nicht bezeichnen können, auch was Bürgerrechte angeht, sind ernste Zeifel angebracht.⁽⁴⁾ Doch das Schlüsselwort ist "wertkonservativ." Als solche werden sie im Südwesten tatsächlich empfunden, womit das Alleinstellungsmerkmal der CDU flöten gegangen ist.
Ja, meine lieben Mit-Nichtwähler, wo ist nur der Politiker, oder die Partei, die sich endlich mal uns annimmt. Ohne Ideologien, nur der Mensch mit seinen Bedürfnissen und Wünschen im Mittelpunkt.
Verweise / Erläuterungen
(1) Nach Auszählung der 433 Wahlbezirke kam Kuhn auf 52,9 Prozent, Turner auf 45,3 Prozent. Sein bestes Ergebnis holte Kuhn im Bezirk Stuttgart-Mitte mit 65,1 Prozent. Turner bekam im Bezirk Mülhausen den größten Zuspruch (55,8 Prozent). Die Wahlbeteiligung betrug 47,2 Prozent.
[SWR: Fritz Kuhn erobert OB Sessel in Stuttgart]
(2) Die Stuttgarter Schulbürgermeisterin Susanne Eisenmann sagte der dpa, die CDU müsse über Antworten auf die drängendsten Fragen der urbanen Wähler nachdenken. Diesen würden die Themen Kinderbetreuung, Ganztagsschule, Probleme von Alleinerziehenden und die städtebauliche Entwicklung unter den Nägeln brennen.
[Handelsblatt: Wähler vertreiben Union aus den Großstädten]
(3) Als einen der Gründe für die Dominanz der Grünen in Baden-Württemberg nannte der Parteichef die breite thematische Aufstellung der Partei. Grüne im Südwesten würden als links, liberal im Sinne von bürgerrechtlich und gleichzeitig wertkonservativ wahrgenommen. „Das ist hier kein Widerspruch.“ In Berlin werde das zu seinem Bedauern manchmal anders gesehen.
[Handelsblatt: Wähler vertreiben Union aus den Großstädten]
(4) Der Minister, das bestätigen grün-rote Regierungskreise, sehe den Nationalpark als sein Prestigeprojekt und wolle ihn verwirklichen. Und so kam das Signal aus Stuttgart an die betroffenen Landratsämter, sie mögen als Aufsichtsbehörde die Beamten befragen. Zwar bestreitet das Ministerium, man habe Druck auf die Förster ausgeübt, bestätigt aber, dass es Gespräche gab. Beamte, auch Förster, „könnten nicht am Freitagmittag ihre Dienstjacke ausziehen und am Sonntag gegen das Land demonstrieren“, sagt Landesforstpräsident Max Reger.
[Stuttgarter Nachrichten: Manch einer fürchtet eine „grüne Diktatur“]
Bevor ich meine Feinde lobe, sollte ich meine Freunde besser behandeln.
AntwortenLöschenWas der Nichtwähler will, dass will er eben niemandem verraten, sonst wäre er zur Wahl gegangen.
AntwortenLöschenGenauso gut kann man auch annehmen, dass der Nichtwähler jemand ist, der mit der allgemeinen politischen Entwicklung so zufrieden ist, dass er meint, auf seine Stimme käme es nun auch nicht mehr an.
Schuster wurde bei einer Wahlbeteiligung von 44% wiedergewählt, hatte prozentual damals zwar geringfügig mehr Stimmen als Kuhn heute, aber absolut wird das aufs gleiche kommen.
AntwortenLöschenGegen Rezzo Schlauch holte er 1996 noch nicht einmal die absolute, sondern nur die einfache Mehrheit.
In Stuttgart begann der Niedergang der CDU also eindeutig vor der Merkelzeit.
@ Anonym (22. Oktober 2012 20:06)
AntwortenLöschenWenn man bedenkt, welche Krisen die CDU in der Zeit seit den letzten Regierungsjahren von Helmut Kohl durchmachen musste. Ist es geradezu erstaunlich, dass Stuttgart trotzdem durchweg von den Schwarzen regiert wurde. Dies trotz des als farblos geltenden Schuster. Zahlen der vergangen Jahre:
http://www.stuttgart.de/item/show/442460
Dennoch ist die Situation heute eine andere. Die CDU verliert ihr Alleinstellungsmerkmal "wertkonservativ" an die Grünen, weshalb ihr auch immer schwerer fallen wird, das Bürgertum anzusprechen. Vor allem deshalb, weil sie, die CDU, sich einem vermeintlichen grünen Mainstream angeschlossen hat.
Interessant in diesem Zusammenhang auch ein Interview mit Forsa-Chef Güllner im Spiegel:
„Bei kommunalen Wahlen gibt es schon einen eindeutigen Zusammenhang: Je höher der Stimmenanteil der Grünen, umso niedriger die Wahlbeteiligung. Auch im internationalen Vergleich ist auffällig: Nirgendwo in den westlichen Staaten sank die Wahlbeteiligung in den vergangenen 30 Jahren so stark wie in Deutschland. Gleichzeitig wurden die Grünen hier besonders stark.“
Oder, als Ergänzung ein Text aus eigener Feder: Agenda 2010 und die Energiewende - Teil 1
QQ
Die Zahlen aus Stuttgart können die Aussage von SPD-Mitglied Güllner aber überhaupt nicht belegen. Die Wahlbeteiligung schwankt doch völlig unabhängig davon, ob ein Grüner gerade viele oder wenige Stimmen erhält und ob überhaupt ein Grüner antritt.
AntwortenLöschenSelbst Manfred Rommel wurde doch bei einer Wahlbeteiligung von gerade 50,2% gegen Rezzo Schlauch wiedergewählt, sechs Jahre später lag die Wahlbeteiligung um 3% höher, Schlauch bekam aber mehr Stimmen gegen Schuster als gegen Rommel, bei der darauf folgenden Wahl trat Palmer bei einer Wahlbeteiligung von 46% an, in der Wahl ohne grünen Kandidaten sank die Wahlbeteiligung auf 43,1%. Aber mir soll es egal sein. Bin ja kein Konservativer.
Kommentar aus Science-Skeptical von Wilhelm Leonhard Schuster:
AntwortenLöschen„@Bei QuentinQuencher drüben im “Glitzerwasser” habe ich einen Kommentar unterbringen wollen .
Nun, ich mußte zu meinem Leidwesen feststellen ,daß ich ein Roboter bin .
Es ist mir Dieses:Kommentar unterbringen, nicht gelungen .
Möglicherweise hatten so viele “Nichtwähler” in Stuttgart denselben Eindruck und deshalb kühn Kuhn gewählt.
Thema war: Eine Autostadt wählt kühn einen Öko Kuhn. Wird die schöne Mercedes nach Straßburg emigrieren ?(müssen!)“
Schlimm vor allem, daß die Freien Wähler in Baden-Württemberg sich von Turner, FDP und CDU haben vereinnahmen lassen, anstatt wie der Bundesverband und verschiedene Landesverbände mit berechtigter Eurokritik an #ESM und #Bruessel die damit unzufriedenen Wähler aufzufangen.
AntwortenLöschenStuttgarter Nachrichten:
AntwortenLöschen„ Mehr Radwege hält Kuhn für selbstverständlich, dank dem Elektrofahrrad steche das Argument, Stuttgarts Hügel seien mit dem Fahrrad nicht zu bezwingen, nicht mehr.“
Dazu kommt Tempolimit und Parkraumbewirtschaftung etc.. Doch das ist nicht für mich nicht der wichtigste Punkt. Wer Stuttgart kennt weiß, zusätzliche Radwege lassen sich nur zu Lasten des Automobilverkehrs einrichten. Da ist einfach fast nirgendwo genug Platz für Radwege. Es sei denn, man schränkt den Autoverkehr ein.
Ok. Das wurde ja auch schon vornweg so verkündet und ist nicht neu auf dem grünen Wunschzettel. Doch die Aussage, Stuttgarts Hügel stellen für Elektrofahrräder keinen Hinderungsgrund dar, ist schlichtweg unverschämt. Hier ein paar hundert Euro für’n neues Elektrorad, dort für ’nen neuen Kühlschrank, das summiert sich. Aber es zeigt vor allem, welches Bild die Grünen von der Bevölkerung haben. Leider sind die Schwarzen und Roten auch nicht besser.
Das sind sehr treffende Gedanken. Ich teile Deine Einschätzung, dass Cem Özdemir das Wort "Wertkonservativ" im Zusammenhang mit den Baden-Würtembergischen Grünen sehr bewusst gewählt hat. Und auch sehr erfolgreich. Ich war gestern knapp 3 Stunden mit dem Auto unterwegs und hatte die meiste Zeit WDR 5 an. In den zitierten Pressekommentaren und auch in den Nachrichten habe ich diesen Begriff heute gefühlt mindestens 15 mal gehört.
AntwortenLöschenIch glaube Özdemir will damit eine Art Blaupause für die Bundespartei vorlegen. Ein Erfolgsrezept wäre hier sicher auch hochwillkommen. Schließlichsind die Grünen in der Sonntagsfrage von eineer Zustimmung von 25% unmittelbar nach Fukushima wieder auf das davor herschende Niveau von 13-14% zusammengeschrumpft.
@ Rudolf
AntwortenLöschenWenn ich ehrlich bin, finde ich die Leute wie Özdemir, Kretschmann oder Kuhn viel gefährlicher als Roth, Ströbele und Trittin. Letztere stammen aus der linken Protestbewegung und sind nie in der Mitte der Gesellschaft angekommen, haben gewissermaßen die Jusos ersetzt. Bei denen wird man den Eindruck nicht los, dass es hauptsächlich um Kapitalismuskritik geht; der Ökologismus nur das Vehikel ist, mit dem man die ursprünglichen Systemkritik zur Schlacht fährt.