11. Oktober 2013

Über die Grenzen des Mitfühlens

Das sagt heute keiner mehr: „Ein paar hundert Neger sind im Mittelmeer ersoffen.“ Denken tuts auch kaum einer, nicht mal heimlich. Doch fühlen, ja, fühlen tun die meisten Menschen so. Dies hat nichts mit Rassismus zu tun, Menschen können nur bis zu einem bestimmten Grad empathisch sein, und am ehesten klappt dies mit Menschen die dem eigenen Kulturkreis angehören. Das Schicksal der andern, in dessen Gefühlswelt wir nur schwer Einblick erhalten, kümmert uns nicht weiter. Kriege finden vor unserer Haustüre statt, ganze Familien werden massakriert, aber was können wir schon tun. Wenn wir denen helfen, dann wollen die womöglich auch noch zu uns kommen. Das geht gar nicht. Empathieblockade als Selbstschutz.

Wird eine Frau vergewaltigt und umgebracht, vorausgesetzt sie gehört unserem Kulturkreis an, bringt es das Blut in Wallung. Aufhängen, Eier oder Schwanz ab, lebenslang ins Loch, so lauten die Forderungen in Hinblick auf die Bestrafung der Täter. Und nimmt ein Angehöriger Selbstjustiz vor, und erschießt den Täter im Gerichtssaal, so darf er sich der Zustimmung der meisten gewiss sein.

Für unsere Fähigkeiten zum Mit- und Einfühlen, auf wen und unter welchen Umständen sie wirksam werden, dafür können wir nichts. Das soll keine Entschuldigung sein, warum uns das Leid anderer, uns fremder Menschen, eben nicht so berührt als die uns nahe stehenden. Es ist auch kein besonders Merkmal »unser Kultur«, woanders ist dies nicht anders, mitunter sogar ausgeprägter. Der Fremde, der Un- oder Andersgläubige, der Andersdenkende, kann beraubt oder getötet werden, obwohl genau dieses Verhalten innerhalb der eigenen Gruppe (Familie, Sippe, Kulturkreis) als verachtenswert gilt und entsprechend bestraft wird.

Aber da ist doch noch die Moral, könnte man hier einwenden. Ja, theoretisch schon, doch Moral ist eng mit den Wertvorstellungen der eigenen Gemeinschaft verbunden, und wenn Moral uns eine Anleitung geben soll, dann kann dies nur unter den gleichen Einschränkungen geschehen, welche auch für die Empathie gelten.

Nein wir werden nicht handeln, nicht in Bürgerkriege eingreifen solange sie uns nicht selbst betreffen, wir werden auch nicht überlegen, wie wir den Flüchtlingen aus Afrika helfen können, sondern eher überlegen, wie wir verhindern können, dass sie kurz vor der Küste ersaufen. Am besten fängt man sie schon auf hoher See ab und bringt sie zurück, so dass sie gar nicht erst uns zu nahe kommen können. In jeder Beziehung. Wenn sie erst mal an Land sind, könnten wir vielleicht doch noch etwas Empathie entwickeln und es nicht mit unseren moralischen Gefühlen vereinbaren und sie wieder zurück zu schicken, ins Verderben.

Ob es sinnvoll ist, als Lösung aus dem moralischen Dilemma, nun zu erlernen mitfühlender mit dem »anderen« zu sein, muss bezweifelt werden. Was wir aber lernen können, das ist Respekt. Dort wo Empathie an seine Grenzen stößt, was wohl auch evolutionsbedingt so ist, kommt der Respekt vor dem »anderen« zum tragen. Ich muss nicht verstehen wie er tickt, was er fühlt, welche Pläne, Hoffnungen und Ängste er hat, ich muss es nur respektieren. Seine Anliegen sind ihm genau so wichtig, wie die meinen mir, er hat das gleiche Recht darauf wie ich.

Wenn ich den Flüchtlingen vor Lampedusa, und allen anderen auch, Respekt zolle, so lasse ich ihnen wenigstens ihre Würde, und muss sie auch nicht klammheimlich mit herab würdigenden Bezeichnungen versehen, um mir nicht meine nicht vorhandene Empathie bewusst werden zu müssen. Auch aus der Überzeugung heraus, dass jedem Menschen Respekt gebührt, lässt sich die Notwendigkeit zu Hilfe ableiten; ihm dabei zu helfen das er seine Würde behält. Es ist meist das letzte was sie haben.

Vorgetäuschtes Mitfühlen, denn etwas anders ist es meist nicht, das braucht keiner. Respekt aber schon.

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