Isda! Nukos! mit diesen Rufen wurde ich geweckt, fast täglich morgens gerade als die Sonne begann aufzugehen. Allerdings kamen der Fischersfrau, die den nächtlichen Fang ihres Mannes an die Kundschaft bringen wollte, manchmal die Hähne zuvor. Diese begannen schon vor dem Sonnenaufgang zu krähen, für Langschläfer sind Fischerdörfer in den Philippinen nicht geeignet. Jeden Morgen beginnen die Frauen die Straße, oder manchmal nur den Weg, mit Strohbesen zu fegen, und eine rege Kommunikation ist ebenfalls schon bei den ersten Sonnenstrahlen im Gange. Sauber sieht es aus in diesen Örtchen, kein Vergleich mit den größeren Städten, die abseits von Tourismus oder Big Business einem Dschungel gleichen, Je kleiner die Orte, desto sauberer, nicht generell, doch tendenziell.
Isda (Fisch) und Nukos (kleiner Tintenfisch) werden sofort zubereitet und finden sich zusammen mit Reis auf dem Frühstückstisch wieder. Nur ganz frisch hat der Fisch noch einen überaus angenehmen süßlichen Beigeschmack, wird er erst am Abend zubereitet, ist dieser Geschmack, trotz zwischenzeitlicher Kühlung, nicht mehr so vorhanden. Es ist ein bisschen so wie mit der bayerischen Weißwurst, die ja angeblich des Mittagsläuten auch nicht hören soll.
Malot hieß die Fischersfrau, sie lebte mit ihren Ehemann und drei oder vier Kindern in den Mangroven, hatte dort eine kleine Bambushütte ohne Strom. Wenn das Geld langte, wurde mit Propangas gekocht, wenn nicht, mussten die Mangroven das Holz dafür hergeben. Manchmal sah ich ihre Kinder von der Schule kommen, sauber rausgeputzt, doch immer mit Slipper an den Füßen, manchmal auch barfuß. Den sozialen Status einer Familie konnte man am Schuhwerk der Kinder sehen, wer es sich leisten konnte, schickte seine Kinder mit richtigen Schuhen in die Schule. Dafür langte es bei Malot nie.
Einmal nur sah ich sie und ihre Familie in richtig guten Kleidern, inklusive Schuhen. Ihre jüngere Schwester wollte einen jungen Mann heiraten, oder umgekehrt, doch dafür wurde die Erlaubnis der Eltern benötigt. Der junge Mann arbeitete als Hilfsmechaniker mal hier, mal dort. Vor allem an den Motorrädern oder an denen mit Bindedraht und Pflaster zusammengehaltenen Minibussen war ja immer was zu reparieren, oder auch die kleinen Hondamotoren, mit denen die Fischer ihre Nussschalen ausstatteten, anders kann man diese Boote kaum bezeichnen, bedurften gelegentlicher Wartung. Vielleicht haben sich die jungen Leute bei einer solchen Gelegenheit kennen gelernt.
Die Eltern des jungen Mannes waren Reisbauern auf einer benachbarten Insel, ihr sozialer Status entsprach in etwa dem, welcher auch Malot und ihre Familie hatte. Daher stand einer Vermählung der beiden jungen Leute nichts im Wege, und wahrscheinlich nur der Form wegen, also aus Tradition, suchten die Eltern des Mechanikers die Familie der Braut auf.
Eigentlich war der Platz an dem Malots Hütte stand eine Postkartenidylle. Gleich nebenan befand sich ein etwa zwanzig Meter breiter Gezeitenfluss mit kleinen Sandbänken, die sich immer wieder veränderten und in den Biegungen so was wie einen Strand schufen. Hier konnte man Kinder spielen lassen, das Wasser war kristallklar und da kein Süsswasser in der Nähe war, war man auch vor den Moskitos sicher. Mir gefiel es dort besser als am offenen Meer. Und so wurde ich auch Zeuge wie sich die Eltern des zukünftigen Brautpaares vor Malots Hütte trafen. Dort wurde dann gegessen, gesungen, getanzt und gelacht. Was das ganze aber zu einer geradezu grotesken Vorstellung machte, war eben, dass alle im feinsten Zwirn gekleidet waren. Sogar Malots Kinder, die ich bis dahin nie mit Schuhen sah, trugen diesmal welche. Das ganze inmitten eines Mangrovenwäldchens. Ich frage mich bis heute, ob die Kleider und die Schuhe nur geborgt waren, anders ist es kaum vorstellbar.
„Quentin, komm mal schnell her”, rief meine Frau, „hier sind Philippinos im Fernsehen”. Wir befinden uns nun wieder in Deutschland und wenn meine Frau einen Bericht, oder sonst irgendwas, im Fernsehen sieht, etwas was mit ihrer Heimat zu tun hat, dann möchte sie Erklärungen von mir dazu. Kulturelle Übersetzungsarbeit sozusagen.
Im Ersten wurde der Gottesdienst zur Eröffnung der Misereor Fastenaktion 2015 aus dem Dom St. Peter in Osnabrück übertragen, und diese Fastenaktion widmet sich dieses Jahr dem Klimawandel. Auf der Programmseite der ARD heißt es dazu: »Fischerfamilien, die an den Küsten der Philippinen leben, bekommen die Folgen des Klimawandels zu spüren.« Seit dem muss ich wieder an Malot denken und frage mich, ob sie den Klimawandel auch als Bedrohung ansieht. Wenn ich sie danach gefragt hätte, sie hätte gelächelt, das tat sie immer. Wahrscheinlich hätte sie geantwortet: „Es liegt alles in Gottes Hand”. Katholischer Fatalismus hilft eben manchmal Dinge auszublenden, über die sich andere die Köpfe heiß reden, die für einen selbst aber ohne Belang sind.
Aber als gute Katholikin wird sie zu ihrem Herrn gebetet, und vielleicht auch den einen oder anderen Wunsch vorgetragen haben, während sie für jedes ihrer Kinder eine Kerze anzündet. Um Klimawandel wird es da sicher nicht gegangen sein, bestimmt aber um Kleinigkeiten, möglicherweise einer solchen, sich nicht mehr Schuhe für die Kinder borgen zu müssen.
Ob die Gottesdienstbesucher im Dom von Osnabrück an solche Kleinigkeiten gedacht haben, als sie dafür beteten dass der Klimawandel die Philippinen verschonen soll?
Dieser Text ist im Buch Im Spannungsfeld |1 enthalten.
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