18. März 2015

Leggewie und die vierte Gewalt

Am 17.03.2015 war Claus Leggewie zu Gast in der Radiosendung SWR1-Leute bei Stefan Siller.⁽¹⁾ Beide sind den Lesern dieses Blogs natürlich vertraut.⁽²⁾ Leggewie gehörte zu den Hauptautoren des WBGU Gutachtens »Welt im Wandel« und als sogenannter 68er zu den Leuten, die die Schnittmenge von linken Gesellschaftsutopien hin zu einer Ökogesellschaft mit Nachhaltigkeitspostulat der Grünen bilden. Er selbst bezeichnet sich eher als Sponti, für die 68er wäre er zu jung.⁽³⁾ Zur politischen Sozialisation Leggewies sagt das schon was aus, vor allem wenn er mit einem gewissen Stolz im Unterton sagt, dass die 68er die Republik zum positiven verändert hätten. Wobei er sich von den K-Gruppen der 70er distanziert, und meint, er wäre nie ein Amerikahasser gewesen. Die dem linken Denken nahestehenden dieses Landes bilden eben eine wesentlich komplexere Gruppe als es in Öffentlichkeit oft erscheint, und man darf annehmen, dass dieses Erscheinungsbild nur deswegen existiert, weil sie der gemeinsame Kampf gegen Kapitalismus oder von solchen Leuten die von ihnen als rechts eingestuft werden, sowie des Liberalismus, eint. Ist der gemeinsame Gegner besiegt, werden sie wieder übereinander herfallen. Carl Schmitt lässt grüßen.⁽⁴⁾

Kommen wir zurück zur hier zu betrachtenden SWR-Sendung. Als die Sprache auf Bürgerbeteiligungen und Volksentscheide kam, drückte Leggewie seine Abneigung gegen letztere aus, sei wären nur Momententscheidungen, die von Wutbürgern oder anderen kurzfristigen Stimmungen dominiert sein können. Gegen Bürgerbeteiligung hat er allerdings nicht, sofern sie entsprechend seiner Vorstellung organisiert sind. Neue Arten der Partizipation sollen entstehen, doch schauen wir mal, was er genau dazu im Interview sagte.
Ich bin Anhänger einer erörternden deliberalen Demokratie, die solche Entscheidungen, die wirklich auf Jahrzehnte Infrastrukturen schaffen, wo man sich genau überlegen muss was man tut, die halte ich für besser, dass man sich grundsätzlich überlegt, auch mit den Bürgern. Da gibt es auch Modelle. Wir sind gerade dabei an einem Modell zur arbeiten, was wir die Konsultative nennen, also eine Art vierte Gewalt. [...] Wir nennen es gewissermaßen eine vierte Gewalt, weil sie neben Exekutive und Legislative, Judikative, eine Beratungsinstanz aufbaut, mit Blick in die Zukunft. Das kann ich jetzt nicht weiter ausführen.
Warum er das nicht weiter ausführen kann, das fragte der Moderator nicht nach, aber das ist man bei Stefan Siller ja auch gewöhnt, und dass er dann wenn es für den Hörer interessant werden könnte, in allgemeines Blablabla abgleitet, am besten in Zusammenhang mit Fußball.

Doch greifen wir zwei Begriffe auf: »deliberale Demokratie« und »Konsultative«. Letzteres ist eine relativ neue Wortschöpfung und soll von dem Gründungsmitglied der Grünen Erhard O. Müller in die Diskussionen einbracht worden sollen.⁽⁵⁾ So jedenfalls der Mitinitiator eines Verfassungskonvents, Joachim Sikora, der, wie seine Genossen und Brüder, gleich eine neue Verfassung für Deutschland haben wollen. Sikora nennt diese Konsultative als erste von insgesamt sechs Gewalten.⁽⁶⁾ Die Aufgaben dieser nun ersten Gewalt, und hier ist anzumerken, dass Leggewie zwar von vierter Gewalt spricht, sicher aber die Vorstellungen Sikoras teilt, ist folgende:
Die zentrale Aufgabe der „Konsultativen“ ist die Erarbeitung eines gesellschaftlichen Leitbildes, ausgehend von der Frage: In welcher Gesellschaft wollen wir leben? Dieses Leitbild bildet die Grundlage für alle weiteren politischen Entscheidungen. Dazu initiiert die „Konsultative“ einen Konsultationsprozess (etwa analog den Bürgerforen) und eine ständig zugängliche Bürgerplattform im Internet als Medium des „Crowdsourcing“.

Die Aussagen des Leitbildes sind verbindlich für alle weiteren politischen Entscheidungen.
Wir müssen hier kurz durchatmen um die ganze Tragweite dieser Aussage zu begreifen. Diskussionsplattformen, bei denen davon auszugehen ist, dass die artikulationsstarken, ressourcen- und zeitreichen, sich durchsetzen werden, entwickeln ein Leitbild nach dem sich die ganze Politik zu richten hat. Letztlich bedeutet dies, dass Bürgern die sich nicht in der Lage sehen an diesen Prozessen teilzunehmen, sei es Zeitgründen oder weil sie ihre persönliche politische Meinung nicht zum Gegenstand von Diskussionen machen möchten, oder weil sie meinen sich nicht so geschliffen korrekt ausdrücken zu können, und daher eine gewisse Scheu und Scham vor Öffentlichkeit haben, oder anderen ganz persönlichen Meinungen, alle diese Leute haben dann nichts mehr zu sagen, da sie an der Entwicklung der politischen Leitbilder nicht mitwirken können, an die sich dann aber die Politik zu halten hat. Wahlen werden somit nebensächlich, denn auch die gewählten Volksvertreter müssen sich an diesen Leitbildern orientieren. Einen Vorgeschmack dessen wie Politik dann aussieht haben wir bekommen, als eine Ethikkommission darüber zu befinden hatte, ob nun Kernkraft in Deutschland sicher ist oder nicht.

Es hätte auch einen Volksentscheid geben können, bei dem die Wähler darüber entscheiden wie nun mit den Kernkraftwerken zu verfahren sei. Das Ergebnis wäre wahrscheinlich das gleiche gewesen, doch es hätte eine öffentliche Diskussion gegeben, bei der dann auch Bürger mit ihrer Stimmabgabe ihre Meinung kund tun können, solche die sich ansonst nicht in der Lage sehen, ihre Meinung auszuformulieren, was aber in Bürgerforen Voraussetzung ist. Es soll ja auch noch Bürger geben, die einer ganz normalen Erwerbstätigkeit nachgehen, eine Familie, einen Hund und ein Hobby haben, und schon aus Zeitgründen an diesen Diskussionen nicht teilnehmen können oder wollen, aber dennoch eine Meinung dazu haben. Die Stimmabgabe bei einer Wahl, bei der es auch wirkliche Alternativen gibt, ist die effektivste Form der Meinungsäußerung in der Demokratie. Wer Hand an dieses Prinzip legt, gefährdet die Demokratie insgesamt.⁽⁷⁾

Dieser Ethikrat, was anderes bedeutet die Rede vom gesellschaftlichen Leitbild nicht, bestimmt dann aber nicht nur einzelne Punkte der Politik, sondern ist ein allumfassender Lenker, bei dem die Rechte des Individuums automatisch unter die Räder kommen.

Diese Idee von der Konsultative, und wie diese gebildet werden soll, kommt nicht aus dem Niemandsland, sondern ist die nur Weiterführung einer von den 68ern geliebten Vorstellung. Fündig werden wir beim Begriff »deliberative Demokratie«.⁽⁸⁾ Die theoretischen Ansätze dafür lieferte der bei Teilen der 68ern überaus beliebte Jürgen Habermas mit seiner Diskurstheorie und zielt auf Konsensfindung ab. In der Praxis bedeutet dies aber, dass der Konsens nur ein scheinbarer ist. Eben weil, wie auch bei Wikipedia als Kritikpunkt nachzulesen ist, auf Grund von Machtgefällen zwischen den Diskursteilnehmern ein neutrales Abwägen der Argumente in der Realität häufig nicht erreichbar ist und letztlich zur Ausbildung einer Schweigespirale führt.

Wir sehen also, hier am Beispiel Leggewie, dass die sogenannte Verbürgerlichung der 68er nur eine scheinbare ist, die alten Vorstellungen, die eigentlich einer Räterepublik nahe kommen, sind immer noch sehr lebendig. Nun sind aber diese Leute in Parteien, NGOs, den Behörden und in die Medien eingesickert und haben diese mit ihren Vorstellungen infiltriert. Zu Nutze kommt ihnen dabei, dass sie glauben mit einem Nachhaltigkeitspostulat oder der Rede von der Klimakatastrophe die Narrative in der Hand zu haben, mit denen die Bevölkerung überzeugt werden könnte. Der eigentliche Grund ist aber ein anderer, nämlich die komplette Umgestaltung unserer Demokratie, ja eigentlich deren Abschaffung zu Gunsten einer Meinungsdiktatur oder eines idealisierten utopischen Sozialismus.

Dass sind aber Utopien, und wie fast immer wenn diese hier und heute verwirklicht werden sollen, schrittweise versteht sich, dann treten Kolateralschäden ein. Doch diese werden in Kauf genommen und auch dabei hilft ein Vordenker der 68er, nämlich der Herr Bloch mit seiner Theorie von der konkreten Utopie.⁽⁹⁾ Dass der mit Rudi Dutschke befreundet war, soll nur als Hinweis gelten und der Abrundung des Bildes dienen. Eigentlich wäre dies ein Thema für einen weiteren Beitrag, der beleuchtet was konkrete Utopie in Hinblick auf die Umgestaltung der Gesellschaft bedeutet. Deshalb hier nur der Hinweis.

Nun sind nicht alle 68er ihren damals erlangten Überzeugungen treu geblieben, nicht wenige sind konvertiert zum utopischen Ökologismus, oder zur utopischen Nachhaltigkeit. Dennoch haben sie ihr Handwerk, besser Denkwerk, bei den Linken gelernt. Die Werkzeuge die verwendet wurden um in einem Diskurs die Meinungshoheit zu bekommen, werden nun ganz selbstverständlich in Hinblick auf das neue Ideal verwendet. Die meisten aber haben einfach die alten Überzeugungen mit den neuen vermischt; das Ergebnis, auch hier kann das was man als Rüstzeug aus der linken Denkschulen mitbekommen hat gut für die Verwirklichung der nun neuen Ziele, Nachhaltigkeit und Klimaschutz als Postulat, verwenden. Kapitalismuskritik inklusive. Die verwendeten Begriffe »Deliberative Demokratie« und »Konsultative« verraten die Denkstrukturen und die Strategien mit der die Gesellschaft umgebaut werden soll. Eine Räterepublik bleibt eine Räterepublik, egal welches Leitbild in pseudodemokratischen Prozessen der Bevölkerung vorgegaukelt wird.

Noch ein letztes Wort zum Klimaschutz. Diese teils im Internet heftigen Diskussionen zwischen selbsternannten Alarmisten und Skeptikern über die physikalischen Eigenschaften von Treibhausgasen im allgemeinen, und CO₂ im besonderen, entbehren nicht einer gewissen Komik. Egal welche Wirkung dieses Gas nun wirklich aufs Klima hat, die Vorstellungen derer die meinen beweisen zu müssen, dass CO₂ nicht besonders wirksam sei, um damit das ganze Gedankengebäude des Klimaschutzes einstürzen zu lassen, sind lächerlich. Es geht Leuten wie Leggewie um die Umgestaltung der Gesellschaft, Klimaschutz ist nur ein Werkzeug dazu, sollte es unbrauchbar werden, keine Sorge, die strategisch und ideologisch bestens präparierten Werkzeugmacher aus alter ideologischer 68er-Schule werden neue Werkzeuge bauen. Die passenden Leitbilder gleich mit.


Verweise/Anmerkungen:

(1) Prof. Claus Leggewie ist Politologe und Direktor des Kulturwissenschaftlichen Instituts Essen. Er wurde geprägt durch die Studentenbewegung in den 68er Jahren, ließ sich jedoch von keiner Gruppierung vereinnahmen.
[SWR1-BW-Leute. Sendung vom 17.3.]
  
(2) Beim SWR gibt es auch gute Moderatoren für Informationssendungen, Wolfgang Heim und Gábor Paál beispielsweise, Stefan Siller gehört aber nicht dazu.
[Glitzerwasser, 01.03.2014: Schlechter Journalismus, am Beispiel Stefan Siller]

Wenn Leggewie also die fdGO-Formel ablehnt, auch weil sie zu Missbrauch einlädt, so ist konsequenterweise eine Nachhaltigkeitsformel ebenso abzulehnen.
[Glitzerwasser am 03.09.2013: Leggewie, die Nachhaltigkeit und der Verfassungsschutz]

Leggewie wäre nicht Leggewie, wenn er nicht auch gleich mit der Beschreibung der Krise eine Ausweg anbieten könnte, mehr noch, seine Beschreibung macht den Eindruck, dass die Vergangenheit nur deswegen so von ihm dargestellt wird, damit sein großes Ziel, die Transformation hin zu einer Gesellschaft mit Nachhaltigkeitspostulat und »grünen Energien« Sinn macht.
[Glitzerwasser, 25.10.2015: Latiner, Teutonen und die Zukunft Europas]

Nur mit Hilfe des Kommerz können wir erkennen welche Fragen, Probleme, Sorgen und Ängste in die Kunst und Kultur einfließen und im Spielraum des Imaginären Nährböden für Mythen entstehen lassen.
[Glitzerwasser, 05.07.2014: Kunst, Kommerz und die Kultur]
  
(3) Spontis waren von den 1970er- bis in die 1980er-Jahre hinein Gruppen linksgerichteter politischer Aktivisten, die sich in der Nachfolge der Außerparlamentarischen Opposition (APO) und der 68er-Bewegung sahen.
[Wikipedia: Sponti]
  
(4) Unter Politik versteht Schmitt einen Intensitätsgrad der Assoziation und Dissoziation von Menschen.
[Wikipedia: Carl Schmitt]
  
(5) Bürgerbeteiligung braucht eine Verankerung im Verfas­sungsgefüge: Neben den drei bestehen­den bedarf es einer „Vierten Gewalt“: der Konsultative, die den Bürger - als den eigent­lichen Souverän - mit Verfassungs­gewalt ausstattet.
[Referat "Bürgerbeteiligung -  bestehende Möglichkeiten in Berlin und Visionen für die Zukunft"(.doc)]
  
(6) Die vor mehr als dreihundert Jahren entwickelte Gewaltenteilung wird den heutigen Anforderungen an eine demokratische Verfassung nicht mehr gerecht.
[joachimsikora.de: Vorschlag für eine Demokratie der sechs „Gewalten“]
  
(7) Mitbestimmung ohne eine Wahl zu haben, ist in Wirklichkeit keine Mitbestimmung sondern eine sanftere Art von Diktatur. Nur die Möglichkeit zur Wahl einer Alternative kann die Spannungen in der Gesellschaft abbauen.
[Glitzerwasser, 15.06.2013: Partizipation, oder wie man undemokratische Verfahren verklärt]
  
(8) Wichtige Theoretiker deliberativer Demokratie sind außerdem Jürgen Habermas und John Rawls. Während das Konzept von Jürgen Habermas inoffizielle Arenen außerhalb des institutionellen Settings, beispielsweise soziale Bewegungen, einbezieht, zeichnet Rawles ein engeres Bild öffentlicher Beratung, indem er stärker auf offizielle Institutionen verweist.
[Wikipedia: Deliberative Demokratie]
  
(9) Konkrete Utopie ist der Prozess der Verwirklichung, in dem die näheren Bestimmungen des Zukünftigen tastend und experimentierend hervorgebracht werden. Der konkreten Utopie Ernst Blochs entspricht eine Haltung des militanten Optimismus.
[Wikipedia: Konkrete Utopie]

1 Kommentar :

  1. Lieber Herr Quencher,

    hier zwei Tipps zum Thema 68er
    http://www.zdf.de/ZDFmediathek#/beitrag/video/2310370/Heimlich-in-der-DDR

    und dann noch https://www.youtube.com/watch?v=Xls23QVS56Y

    liebe Grüße H. M.

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