22. März 2015

Der Handtaschenindikator

Dirk Maxeiner ist ein Handtaschen-Autist. So jedenfalls outete er sich auf der Achse des Guten. Bislang hatte er die weibliche Handtasche nicht wahrgenommen oder nur als Mode-Accessoire. Und so begibt er sich auf eine Reise über die Kulturgeschichte der Handtasche. Ich möchte ihm nicht widersprechen, doch begeht er eine kleine Nachlässigkeit, wenn er die Betrachtung auf Person und Objekt reduziert, auf das Verhältnis der Handtasche zu ihrer Trägerin, oder umgekehrt. Darauf wie die Handtasche getragen wird, geht er nur ganz kurz ein, als er Margaret Thatcher erwähnt, ohne deren Person wohl die Kulturgeschichte der Handtasche unvollständig erzählt wäre. Diese nutzte ihre Handtasche nämlich auch, um Emotionen auszudrücken. Für den Beobachter wurde die Handtasche zum Indikator über die Befindlichkeiten oder die Stimmung ihrer Trägerin. Doch das könnte auch nur Show sein.

Menschen zeigen ihre Stimmung gewöhnlich durch Gestik, Mimik, der Körpersprache im allgemeinen. Nur mit viel Übung, Selbstkontrolle und Disziplin können wir verhindern, dass unsere Umwelt nicht mitbekommt in welcher Stimmung wir uns befinden - meist klappt das aber nicht, und Versuche diesbezüglich enden oft peinlich. Zum Teil unbewusst nehmen wir diese Emotionen und Stimmungen unseres Gegenübers wahr, und reagieren dabei meist ebenso unbewusst darauf. Wird die Handtasche aber bewusst zur Kommunikation eingesetzt, so wie es Magaret Thatcher tat, so können wir nicht mehr sicher sein, ob die dargestellte Emotion wahr ist. Sie könnte vorgetäuscht sein, lediglich um Effekt zu erzielen. Ähnlich beim Mann und seinem Auto, wenn der beispielsweise nach einem Streit mit quietschen Reifen davonfährt, den Motor aufheulen lässt, weiß frau nicht, ob er nun wirklich verärgert ist, oder nur so tut. Vielleicht lächelt er ja insgeheim und freut sich auf eine Sauftour mit den Kumpels.

Die Handtasche, so wie sie getragen, gehalten oder benutzt wird, taugt als Stimmungsindikator nur, wenn sie nicht gleichzeitig als Mittel zur Kommunikation eingesetzt wird. Dann aber, wenn Frau und Handtasche nur auf sich selbst bezogen sich in ihrer Umwelt bewegen, kann man an Hand dessen wie diese Handtasche getragen wird erkennen, welche Stimmungen oder Gefühle sie, die Handtaschenträgerin, gerade in diesem Moment in dieser Umwelt hat. Ist die Tasche eng an den Körper gepresst, oder locker schwingend über der Schulter getragen, wird minutenlang darin gekramt, ohne dass erkennbar etwas Konkretes gesucht wird, und dergleichen mehr, sind dann untrügliche Indikatoren für die Befindlichkeiten. Ich kannte diesen Indikator schon länger, habe ihn allerdings Rucksackindikator genannt. Um das zu erklären, muss ich aber ein wenig ausholen.

Die Colon Street in Cebu/City, Philippines, ist kein Ort der sehr von gewöhnlichen Touristen frequentiert wird. Mann sieht zwar häufig europäisch aussehende Personen, meist Männer, die aber selten Urlauber sind, sondern meist sogenannte Expats. Also Europäer, Amis oder Aussis, die dauerhaft in diesem Land leben. Gleich um die Ecke, in der Pelaez Street, gab es bis Anfang/Mitte der 2000er Jahre einen sogenannten Macho-Barber-Shop, der einen Haircut-Special anbot. Dieser bestand darin, dass während man sich die Haare schneiden ließ, eine Dame unter den Umhang, den man bei jeden Friseur zum Schutz der Kleider bekommt, und der in diesem Barber-Shop besonders lang war, kroch, und einen Blow-Job erledigte. So erzählte es mir jedenfalls ein Expat. Ob das stimmt, konnte ich nicht überprüfen, denn wenn ich dort war, meist im Hotel de Mercedes abgestiegen, war immer meine Frau dabei. Die ist ganz in der Nähe aufgewachsen, in Ermita, einem Gebiet mit eigener Ordnung, und kannte die Gegend entsprechend gut, um zu wissen, dass man mich dort besser nicht allein lässt. Natürlich wäre ich da rein marschiert, in diesen Barber Shop, schon aus Neugier. Und diese Neugier hat mir schon öfters Ärger eingebracht, zum Beispiel als ich wissen wollte, was denn so Geheimnisvolles in der Handtasche meiner Frau sei. „Guck doch rein“ baffte sie mich an und schleuderte mir die Handtasche an den Kopf. Ich habe nicht noch mal danach gefragt und schon gar nicht rein geschaut.

Zurück zur Colon Steet. Dort, in den Seiten- und Parallelstraßen, auf den kleinen Plätzen, den Stores und Eaterias, auf den Gehwegen und den Hinterhöfen, ja dort pulsierte das Leben. Apropos Eateria, das sind meist so kleine Garküchen, bei denen man in die Töpfe schauen muss um zu bestellen. Die in der Gegend der Colon Street waren schon mehr ein bisschen wie richtige Restaurants, auch von der Anzahl der Tische und Stühle und den angebotenen Getränken. In der Provinz sieht es diesbezüglich oft spartanischer aus. Doch gerade in der Provinz sind sie ein ausgezeichneter Ort um mit Einheimischen in Kontakt zu kommen. In der Colon allerdings waren hauptsächlich Straßenhändler, die allen möglichen Krimskrams verkauften, bis zu Zigattenverkäufer mit Bauchladen, deren nicht unerheblichen Teil ihres Umsatzes der Verkauf von einzelnen Zigaretten ausmachte. Manchmal langt es halt nicht zu einer ganzen Packung Kippen, die, wenn man denn eine besitzt, außerdem sogleich Scharen von Schnorren anlockt. Straßenkinder und Bettler jeder Art sind natürlich auch da, bilden aber nicht das prägende Bild, tagsüber und Abends sowieso nicht, da fallen sie kaum auf. In den späten Nachtstunden, weit nach Mitternacht wenn der Trubel ein wenig nachgelassen hat, werden sie dann auffälliger weil sie auf Pappkartons schlafend manchmal einen ganzen Gehweg versperren und man fast über sie drüber steigen muss.

Man bekommt schnell Mitleid, aber auch schnell zu der Erkenntnis, dass man hier nicht helfen kann. Als Ausländer sowieso nicht. Ein Kumpel von mir, Tourist, wollte einer jungen sehr hübschen Frau, die bettelnd mit einem kleinen Kind auf dem Gehweg saß, helfen, hatte schon beim Management eines Restaurants vorgesprochen, ich glaube es war Petes Kittchen gleich gegenüber vom Mercedes Hotel, um der Frau einen Job zu vermitteln. Als er ihr das sagte, antworte sie: „Joe, wenn du mir helfen willst, gib mir zehn Dollar.”

Ich schweife ab. Bedroht oder irgendwie ängstlich fühlte ich mich in der Colon und drum herum nie. Bis zu dem Zeitpunkt, als ich meine Frau fragte, warum denn die Mädchen und jungen Frauen ihre schicken kleinen Rucksäcke auf den Bauch tragen. Fragt mich nicht nach Mode, doch hatte ich den Eindruck, daß diese kleinen Rucksäcke in Prinzip nur so was wie Handtaschen waren, sie erfüllten jedenfalls die gleiche Funktion. Wie gesagt, ich habe keine Ahnung ob die Dinger noch angesagt sind, oder schon megaout. Damals waren sie in. Und dieses Tragen der Rucksäcke auf den Bauch, hatte ich anfangs auch nur als Modeerscheinung gesehen. Irgendwann habe ich auch mal mitbekommen, dass es out ist, sich bei bestimmten Schuhen die Schnürsenkel zu binden, oder überhaupt welche drin zu haben. Ich bin ein Mode-Autist und kann deswegen manchmal Offensichtliches nicht richtig deuten.

Es hatte nämlich rein praktische Gründe warum diese Rucksäcke zu Bauchsäcken wurden. „Because the snatchers“, erklärte mir meine Frau. Wegen der Handtaschendiebe. Überhaupt hätte ich vieles in dem Land ohne ihre kulturelle Übersetzungsarbeit nie verstanden. Sie erklärte mir, was ich sagen dürfte und was keinesfalls, wie ich mich besser hier oder dort verhalte, und manchmal, vor allem wenn es um Preisverhandlungen für Einkäufe ging, dann durfte ich mich nicht mal aus der Ferne blicken lassen. „Wenn der 'ne Langnase sieht, dann zahlen wir das doppelte“. Mit der Zeit, im Laufe der Jahre, verstand ich Land und Leute immer besser, und kam dann auch ohne meine Frau zurecht. Heute bin ich froh, dass ich etwas von dieser Schuld zurückzahlen kann, und mache nun das gleiche für sie hier in Deutschland, was sie für mich auf den Philippinen tat. Ich erkläre ihr Land und Leute, die Gepflogenheiten, die Mentalität und all dergleichen. Dafür muss ich versuchen, mit ihren Augen die Welt zu sehen, wie sonst könnte ihr etwas erklären. Das hat aber auch bei mir eine Veränderung bewirkt. Erstmals in meinem Leben beginne ich so etwas wie Liebe zu meinem Land, Deutschland, zu entwickeln. Dadurch dass ich gezwungen bin, es mit den Augen einer Fremden zu sehen, hat sich mein Bild von Deutschland verändert, es ist positiver geworden.

Doch ich schweife schon wieder ab. Nach dem Hinweis auf die Handtaschendiebe wurde mir bewusst, dass ich mich in einem gefährlichen Umfeld bewegte. Denn auch die Frauen die ganz gewöhnliche Handtaschen trugen, taten dies nicht locker entspannt, sondern klemmten diese ganz fest unter die Oberarme. Dass diese Unsicherheitsempfindung keine Einbildung ist, musste ausgerechnet bald drauf meine Frau, oder besser unsere Tochter, erfahren müssen. Vorm Metro Gaisano, einem großen Kaufhaus in der Colon Street, dort waren immer größere Menschenansammlungen, mit Gedränge und Geschupse, wurde unserer Tochter, sie war damals etwa zwei Jahre alt, und meine Frau trug sie auf dem Arm, ein Ohrring ausgerissen. Der Dieb verschwand sofort in der Menge und hatte offensichtlich auch keine Angst vor dem bewaffneten Sicherheitsposten vorm Kaufhaus. Meine Frau hatte vergessen, unserer Tochter die Ohrringe zu entfernen als sie mir ihr ins Kaufhaus gehen wollte.

Seit dem benutze ich den Handtaschen- oder Rucksackindikator, wenn ich die Sicherheitslage irgendwo in der Welt einschätzen möchte. Schlendern Frauen unbekümmert vorbei, die Handtasche locker über die Schulter tragend, oder schick im Ellbogengelenk, dann weiß ich, dass hier keine Gefahr droht. Halten sie aber die Handtasche fest unter dem Oberarm, oder ganz eng am Körper, dann ist was faul und Gefahr in der Luft und ich sortiere meine Sachen. Uhr, Ringe und Halskette, gut ich habe keine Halskette, aber einfach mal angenommen ich hätte eine, werden entfernt und sicher am Körper verwahrt. Telefon und Geldbeutel genauso, letzteren niemals in der Arschtasche lassen, und wenn das Telefon klingelt, dann gehe ich nicht ran, oder erst, wenn ich mich versichert habe, dass niemand direkt in der Nähe ist. Der Handtaschenindikatur hat einen sehr direkten Wirklichkeitbezug, vielleicht hilft er dem einen oder anderen Leser wenn er auf Reisen ist, oder auch vor der Haustüre.

4 Kommentare :

  1. etwas langatmig, aber trotzdem eine freude beim lesen :)

    lg
    michael m.

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  2. Ein guter Tipp, werde ich mir merken. Meine Vorgehensweise war in Cebu-City (ich hab mal ein paar Monate auf Apo-Island und Negros gearbeitet) und anderswo war, gar nichts dabei zu haben. Keine Uhr, kein Fotoapparat und Handys oder Smartphones gab's damals noch nicht. Das Geld hatte ich in einem eng anliegenden Bauchgurt unter meinen Shorts, meine Taschen waren leer oder nur mit Unwichtigem gefüllt. ;-)

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    1. Ja lieber Erling Plaethe, diese Bauchgurte waren sehr in. Es mussten spezielle flache sein, wenn das Tshirt drüber war, durfte man sie nicht, oder kaum, sehen. Könnte man eigentlich diese Bauchgurte auch als Indikator benutzen? Weil sie praktisch nicht sichtbar getragen werden. Das ist doch eigentlich auch eine Aussage. Übrigens, Shorts habe ich in der Stadt nie getragen, die sind mir von meiner Frau verboten wurden. In der Provinz. Und dann das Motorrad. Shorts, Tshirt, keinen Helm und durch die Berge gedüst. Die Zeiten sind aber auch dort vorbei.

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    2. Au ja, was für eine Wonne!
      Das war so ein Bauchgurt von Globetrotter, den gibt's bestimmt immer noch. Eine reine Vorsichtsmaßnahme. Das Problem war ja immer das Ticket, der Pass und die Kreditkarte. Die drei Sachen durften nicht verschwinden - und die waren in dem Bauchgurt. Neben ein paar Scheinen.
      Klar, unsichtbar war der wohl nur in meiner Einbildung. ;-)
      Darüber hinaus war ich geradezu naiv und nie ist etwas passiert. Ich hab nirgends Diebe gesehen, war aber auch selten in großen Städten.

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