„So wurden allein am Samstag landesweit bei gut 5000 Personen mehr als 1000 Verstöße gegen das Infektionsschutzgesetz festgestellt.“ Wird aus Baden-Württemberg gemeldet und: „Die Erfolgsquote beruht auch auf der emsigen Mithilfe von Bürgern.“
Was bringt die „Bürger“ nun dazu, in dieser Menge, ihre Mitmenschen bei der Polizei zu melden? Ein paar Bilder entstanden dabei, als ich diese Meldung las, vor meinem geistigen Auge. Das erste Bild war das vom pflichtbewussten Deutschen, der es als seine Aufgabe ansieht, bei der Bekämpfung der Corona-Krise dafür zu sorgen, dass sich alle an die neuen Regeln halten. Zu lesen war ja auch, „wenn es nach Innenminister Strobl geht, sollte es davon ruhig noch mehr geben“. Der Anständige wird gelobt, der Unanständige gemaßregelt. Wir sind in Deutschland, da funktioniert so was ganz gut.
Doch schnell verblasst dieses Bild vom pflichtbewussten Deutschen wieder, hin zu einer Karikatur, die mit der Wirklichkeit nicht viel zu tun hat. Freilich gibt es diese Typen, die jede Regelüberschreitung melden, den Nachbar anzeigen, weil der was Verbotenes tut, den Falschparker, den Schwarzarbeiter, wen oder was auch immer. Eine Mehrheit tut das nicht, im Gegenteil, die welche dies notorisch tun, werden als Sonderlinge eher ausgegrenzt, mit denen man nicht viel zu tun haben möchte. Möglicherweise war das in vergangenen Zeiten einmal anders und falls es mal anders war, so stimmt es heute nicht mehr. Ein gewisses ›Laissez-faire‹ ist schon lange den Deutschen eigen oder wie der alte Fritz sagen würde, ein jeder soll nach seiner Fasson selig werden.
Natürlich ist es noch nach wie vor so, dass die Bürger ihre Regeln lieben. Fast siebzig Prozent, wenn man dieser Civey-Umfrage trauen kann, stört es, wenn Sie mitbekommen, dass andere Menschen ihren Müll nicht richtig trennen. Aber nur die allerwenigsten von denen, die sich daran stören, zeigen ihren Nachbarn deswegen an. Und wer trennt denn schon den Müll vorschriftsmäßig, ich mal nicht.
Etwas anders sieht die Sache, die Bereitschaft eine Unkorrektheit zu melden oder anzuzeigen, allerdings aus, wenn damit eine politische oder weltanschaulich Frage verbunden ist. In den sozialen Medien, Twitter und Facebook zuvörderst, ist geradezu eine Meldeflut ausgebrochen. Diese speist sich aber nicht aus der Sorge um das Gemeinwohl oder weil so viele einem Regulierungsfetisch fröhnen würden, sondern aus dem Wunsch, dem der anderer Meinung ist eins reinzuwürgen, zu schaden. Sanktionierungen und Aufregungen über Verstöße gegen die ›Political Correctness‹ fallen in die gleiche Kategorie. Die politische Stimmung im Lande ist meilenweit von der ›Laissez-faire‹ Haltung entfernt, die sonst im gewöhnlichen Mit- oder Nebeneinander herrscht und wird vor allem von fanatischen Minderheiten vergiftet.
Ein Verdacht keimt auf: Ist es möglicherweise so, dass die „emsigen Mithilfe von Bürgern“ bei der Durchsetzung des Infektionsschutzgesetzes auch politische Gründe hat? Das Bild vom pflichtbewussten Bürger falsch war und sich nun in Bilder des Widerstandes und des politisierten Bürgers wandelt, der hier ein Ventil gefunden hat, seinen Unmut über gesellschaftliche Entwicklungen auszudrücken? Das vielleicht sogar ohne dass ihm das so richtig bewusst ist?
Ich weiß, mein Verdacht wird jetzt hoch spekulativ, denn es gibt kaum Meldungen darüber, welche Gruppen denn angezeigt wurden. Vereinzelt ist von Gaststätten oder Kneipen die Rede, von einer größeren Aktion wird bei der Kontrolle einer Shisha-Bar berichtet, bei der die Feuerwehr die Türen aufbrechen musste und 26 Teilnehmer einer verbotenen Party in einem verbarrikadieren Kellerraum entdeckt wurden. Letztlich dürfte die Mehrzahl der Meldungen eben solche Lokalitäten wie Bars betreffen, den einen oder anderen Dienstleister und vor allem Ansammlungen von Personen in der Öffentlichkeit. Gerade was letztere betrifft, dann sehe ich nun Bilder von Personen die eher einem südlichen Phänotyp entsprechen. So jedenfalls meine Erfahrungen in der Vergangenheit, an bestimmten Plätzen, in Parks und dergleichen.
Nun will ich den emsigen Bürgern, die für ihre Mithilfe gerade noch von hohen politischen Amtsträgen gelobt wurden, wie vom Innenminister von Baden-Württemberg, nicht unterstellen, sie würden aus rassistischen Motiven handeln. Das nicht, aber es könnte durchaus ein Protest gegen eine so empfundene Überfremdung des öffentlichen Raumes sein, den man sich sonst nicht zu formulieren getraut, aus Angst davor gegen die ›Political Correctness‹ zu verstoßen und damit sogleich unter Nazi-Verdacht zu geraten.
Doch nun sieht die Lage auf einmal ganz anders aus. Ich bin auf der moralisch guten Seite, wenn ich diese Personengruppen, die sich weiterhin an ihren gewohnten Plätzen treffen, nun anzeige, weil sie gegen das Infektionsschutzgesetz verstoßen. Ich kann vorgeben, es ginge mir um die Gesundheit und den Schutz aller. Die Denunziation wird zur moralisch guten Tat.
Freilich ist das alles nur ein Gedankenspiel meinerseits, es sind die Bilder welche sich bei mir vorm geistigen Auge entwickeln, wenn ich die Nachrichten lese, zum Einkaufen oder spazieren gehe. Dennoch bin ich überzeugt, dass dieses Infektionsschutzgesetz nun ein Ventil für Protest öffnet, der bislang aus moralisch-politisch-korrekten Gründen den meisten verwehrt war. Nun ist die Moral auf ihrer Seite, sie können damit argumentieren, die „emsige Mithilfe der Bürger“ hat vor allem politische Gründe und ist in Wahrheit ein Ventil für Protest, so vermute ich.
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Dieser Text ist auch auf ›AchGut‹ erschienen: hier.
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